19. Juli 2024

Dr. Willfried Penner wurde als Ungedienter Wehrbeauftragter

„Update“ heißt unsere Serie, in der Matthias Dohmen, Journalist, Dozent und Historiker, Persönlichkeiten aus dem Bergischen Land vorstellt. Mit alten und neuen Texten. Mit Fotos und Dokumenten. Menschen, die ihm etwas bedeuten. Diesmal steht Dr. Willfried Penner im Fokus.

Dr. Willfried Penner, ein erfolgreicher Politiker und überzeugter Wuppertaler – © privat

Manche Protagonisten kennt man gut, andere weniger. Ob bekannt oder weniger bekannt: Wer ihre Portraits liest, möchte vermutlich die eine oder den anderen persönlich kennenlernen. Bisher hat Matthias Dohmen an gleicher Stelle Dorothea Brandt, Klaus Burandt, Christine Flunkert, Uwe Flunkert, Peter Klassen, Heidemarie Koch, Johannes Nattland, Josa Oehme, Reiner Rhefus, Erika Schneider, Ingrid Schuh, Hermann Schulz, Klaus Schumann, Michael Walter und Wolf von Wedel Parlow vorgestellt.

Als Zivilist unter Uniformierten

Drei repräsentative großformatige, in Blau eingebundene Bücher, allesamt Unikate, das eine mit dem „Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Absatz 2 Grundgesetz – 16. Wahlperiode –“, das zweite mit sämtlichen Reden, die Dr. Willfried Penner jemals im Bundestag gehalten hat, das dritte schließlich mit den Jahresberichten des Wehrbeauftragten aus den Jahren 2000 bis 2004: Der gebürtige Wuppertaler, vielfach im Bund wie in seiner Heimatstadt ausgezeichnet, ist ein wenig stolz auf diese dicken Schwarten, die Zeugnis ablegen über einen bedeutenden Teil seines politischen Lebens.

Zu dem Band über die Zeit als Wehrbeauftragter haben zwei ihm zugeordnete Referenten jener Jahre ein persönlich gefasstes Vorwort beigesteuert. Ausgiebig habe er von seinem Recht Gebrauch gemacht, Truppenteile unangemeldet aufzusuchen, um mit Mannschaften und Offizieren quasi unpräpariert ins Gespräch zu kommen.

Häufig habe er sich mit folgenden Worten vorgestellt: „Guten Tag, ich bin Willfried Penner aus Wuppertal in Berlin, nicht vorbestraft, seit 34 Jahren mit derselben Frau verheiratet, drei Kinder und noch unterhaltspflichtig.“ Macht die Umgebung einen sehr martialischen Eindruck oder steht sie gar unter Waffen, wir zitieren weiter, „hebt er dabei die Hände zu einer Geste, als wolle er sich angesichts des drohenden Todes retten“. Er hat noch mehr überlebt.

Dekoriert mit Auszeichnungen

Der geborene Wuppertaler machte sein Abitur am Dörpfeld, studierte und promovierte, trat schließlich in seiner Heimatstadt das Amt eines Ersten Staatsanwalts an. 1966 wurde er Mitglied der SPD, für die er sieben Jahre im Rat der Stadt saß. Viele Menschen kennen ihn als langjährigen Vorsitzenden des  Stadtsportbundes. Seit 1972 schaffte er acht Mal den direkten Einzug in den Bundestag, war dort Vorsitzender des einflussreichen Innenausschusses, nahm an mehreren Untersuchungsausschüssen teil und übte maßgebliche Funktionen in seiner Fraktion aus.

Ein echtes Zeit-Dokument: Willfried Penner (r.) und Karl-Wolfgang Nettesheim am 1. April 1940 am Kinderharten Lilienthalstraße – © privat

Zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses arbeitete er als Parlamentarischer Staatssekretär auf der Hardthöhe. Im Jahre 2000 wurde er, spannendes Ende einer Dienstfahrt, mit einer breiten Mehrheit zum Wehrbeauftragten gewählt. In diesen Jahren war er auch als Generalbundesanwalt und als BND-Chef im Gespräch. Zu den vielen Auszeichnungen, die er erhielt, zählen das Große Bundesverdienstkreuz, der Ehrenring der Stadt Wuppertal, deren Ehrenbürger er sich nennen darf, und die Goldene Schwebebahn.

Heute wohnt der – nach dem Tod von Katharina Penner in zweiter Ehe verheiratete – 88jährige am Katernberg. Seine evangelische Gemeinde ist Elberfeld Nord, sein Gotteshaus ist die Auferstehungskirche. Die drei Kinder sind längst erwachsen. Auch die Schauspielerin Julia, die ebenfalls an ihrer Vaterstadt hängt.

Kurze Erfahrung als Schauspieler

„Else“ heißt die Collage über die große Lyrikerin Lasker-Schüler, die ein Kollege vom Fach, sie selbst und Vater Willfried Anfang Dezember 2009 im Schauspielhaus zur Aufführung brachten. Seinen Ausflug auf die Bretter, die die Welt bedeuten, betrachtet er als einmalige Angelegenheit. Drei Wochen drei bis vier Stunden am Tag Texte einzustudieren, hat auch von Willfried Penner, der sich rühmt, ein gutes Gedächtnis zu haben, einiges abverlangt.

So wie er sein berufliches Leben unter Volldampf absolviert hat, pflegt er jetzt mit der passenden Ruhe sein Pensionärsdasein. Und erinnert sich beizeiten. Etwa an seine Zeit in der Zentralen Stelle zur Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, eine Dienststelle der Bundesländer mit Sitz in Ludwigsburg, an die es den 30jährigen 1966 verschlug.

Dr. Wilfried Penner als Mitglied des Bundestages – © Bildstelle Deutscher Bundestag

Es sei, sagt er, eine „mitunter frustrierende Zeit“ gewesen, in der nicht alle um Auskünfte gebetenen staatlichen Stellen sehr kooperativ gewesen seien. Welcher Geist in manchen Amtsstuben und auf manchen Gerichtsfluren herrschte, kann man in Wolfgang Staudtes legendärem Film „Rosen für den Staatsanwalt“ studieren.

In Bolivien auf der Spur von NS-Verbrechern

Ludwigsburg ist längst passé, und wir schreiben die 1980er Jahre, als der Bundestagsabgeordnete Dr. Willfried Penner die bolivianische Hauptstadt La Paz und dort den Deutschen Klub besucht, in dem immer noch der Geist des Wilhelminischen Reiches oder auch der braunen Zeit hochgehalten wird. Auf die Frage, ob man hier Herrn Altmann kenne (den Namen hatte der in Frankreich zwei Mal zum Tode verurteilte NS-Verbrecher Klaus Barbie angenommen), antwortete man ihm: „Ja, der ging hier ein und aus und führte ein großes Wort.“

Mitarbeiter der deutschen Botschaft besuchten, wie man sich denken kann, ebenfalls den Klub, doch auf Fragen, ob man etwas über den Verbleib des ehemaligen SS-Hauptsturmführers wisse, bekamen die Mitarbeiter der Zentralstelle seinerzeit vom Auswärtigen Amt die stereotype Antwort, man wisse von nichts und niemandem.

Das muss man dann schlucken oder weiterbohren.  „Tag und Nacht haben wir seinerzeit geackert“, sagt er heute. Ein hohes Maß an Arbeitseinsatz und Disziplin bescheinigt ihm Freund und Feind, zum Beispiel im Flick-Untersuchungsausschuss oder, siehe oben, als Wehrbeauftragter, eine Art Traumjob für Willfried Penner. Vorgeschlagen hatten ihn die Fraktionen von Grünen, FDP, PDS und SPD.

Bei der „Nachrüstung“ an der Seite von Verteidigunsminister Apel

Das war nach den turbulenten Jahren, als die Auseinandersetzungen um die „Nachrüstung“ die SPD schwer zerrissen. Willfried Penner hielt, als Zivilist auf die Hardthöhe geraten, um dem damaligen Minister Apel zur Seite zu stehen, stramm Kurs und trat bei der Wahl 1982 in Wuppertal als SPD-Unterbezirksvorsitzender nicht mehr an. Heute weiß er, dass seine Beharrlichkeit ihm zumindest im Nachhinein viele Sympathien an der Basis eingebracht hat.

Die Zeit nutzt er heute für Reisen und das Lesen dicker Wälzer über Friedrich den Großen, Dietrich Bonhoeffer, über das Dritte Reich und die „Endlösung“, über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Selten fällt sein Blick auf die in Blau eingebundenen Bände.

In das Vorwort zu den Wehrbeauftragten-Berichten haben ihm die ehemaligen „Persönlichen“ ein großes Lob hineingeschrieben: „Wir haben unendlich viel gelernt, nicht nur über die Bundeswehr, sondern auch über Kollegialität bis hin zur Freundschaft, und wir werden uns den Rest unseres dienstlichen Daseins daran erinnern.“

Sport – Politik – Heimat: Das Willfried-Penner-Lesebuch – Dr. Matthias Dohmen – Nordpark-Verlag – 154 Seiten – ISBN-10: 3943940705 – ISBN-13: 978-3943940701

Heute macht er sich wie viele von uns Gedanken über den Krieg in der Ukraine und darüber, wie man ihn beenden kann. Der europäische Frieden, sagt er, ist für die Ukraine nur ein Traum geblieben. Wieder würden Hunderttausende Menschenleben ausgelöscht, verstümmelt, vertrieben, Werte zerstört. Wegen unerfüllter Großmachtträume? Wegen der bitteren Erkenntnis, dass trotz der auf beiden Seiten gewaltigen Opfer an Menschen und Sachen nach dem Zerfall der Sowjetunion für die Russen nur ein Platz als Regionalmacht blieb, wie es Obama seinerzeit formulierte? Dafür ein solches Blutbad?

Der 2. Weltkrieg als furchtbare Erinnerung

Willfried Penner: „Aber auch das ist wahr: Russland bleibt ein Nachbar. Und dieser Nachbar ist Atommacht. Wir nicht. Wir werden erneut und immer wieder versuchen müssen, miteinander auszukommen. Und die Europäer werden sich stärker auf sich selbst besinnen müssen und nicht nur auf die USA rechnen können.“

Als Kind hat Willfried Penner Erfahrungen machen müssen, die ihn tief geprägt haben: „Ich habe beim Angriff auf Elberfeld Menschen bei lebendigem Leib verbrennen sehen, und ich habe die letzten Kriegsmonate fast nur im Bunker zugebracht. Den Krieg habe ich in furchtbarer Erinnerung.“

Am Ende unseres Gesprächs zeigt er mir ein Buch über das von 1941 bis 1944 belagerte Leningrad. Mancher Zungenschlag, wenn über Russland und seine Menschen geredet wird – so Willfried Penner – „ist einfach unangemessen“.

Dr. Matthias Dohmen

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