11. Oktober 2024Peter Pionke
Tanz und Nachhaltigkeit bei FRAGILE 2024 – Die Bilanz
Es gab viele glückliche Momente, spannende Performances, Künstlerinnen und Künstlern aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten, ein Miteinander der Generationen, viel Bewegung und Begegnung. Was passiert, wenn Menschen zwischen 4 und 75 Jahren sich auf die Reise ins Unbekannte mit Kate McIntosh begeben oder leidenschaftlich mit den Tanzkomplizen Krump tanzen?
FRAGILE ist bundesweit und international das erste und einzige Festival, das sich mit Tanz und Performance dem Klimawandel und der sozialen Nachhaltigkeit widmet. Als Ziel sehen die Initiatoren, die Ermutigung ins Handeln zu kommen.
Schauspielhaus für alle Bürger offen
Mit dem Pina Bausch Zentrum „under construction“ wird das Schauspielhaus in der Interimszeit vor der Sanierung und Erweiterung den Bürgern der Stadt und allen Menschen geöffnet. Die Sanierung des denkmalgeschützten Altbaus von Gerhard Graubner und die Realisierung des Erweiterungsbaus durch das weltweit renommierte Architektur-Studio Diller Scofidio + Renfro sind derzeit in Planung.
Bis es zum ersten Spatenstich kommt, ist das Schauspielhaus ein Ort der Experimente, um die Zukunft vorzubereiten. Die neue Institution für das 21. Jahrhundert wird auch ein Best-Pratice-Beispiel in Sachen Nachhaltigkeit. In der Reihe „under construction“ gab es nun die sechste Ausgabe mit FRAGILE 2024.
Mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes im Fonds Zero, durch den Fonds ÖkoKult NRW des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, die Sparkasse Wuppertal, die Firma Knipex, die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) und das Goethe-Institut kann eine Nachhaltigkeitsstrategie für das zukünftige Pina Bausch Zentrum erarbeitet werden.
Wichtige Partner sind das Wuppertal Institut und der Szenografie-Bund. “Kunst und Kultur-Institutionen haben eine wichtige Vorbildfunktion bei der Sicherung unserer Zukunft. Wo immer Menschen miteinander ins Handeln kommen und aktiv werden, entstehen auch Zukunft und Optimismus. Wir ermutigen mit FRAGILE! Wir sind Teil der Natur und der Vielheit dieser Welt. Wir stehen nicht darüber. Die Herausforderungen, denen wir zunehmend begegnen, sind nur gemeinsam, in Bewegung, Begegnung und mit Co-Kreation zu bewältigen“, so Bettina Milz, Leiterin des Projektes „Pina Bausch Zentrum under construction“.
Perfomance „LAKE LIFE“ eröffnete das Festival
Den Auftakt des Tanz- und Kultur-Festivals machten „Reckless Sleepers“ aus Belgien, danach gab es Reden, erstmals von den Schülerinnen Dana Groll und Jana Knorr der Pina Bausch Gesamtschule, sowie von Oberbürgermeister Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Dr. Carolin Baedeker vom Wuppertal Institut, Kulturdezernent Matthias Nocke und Bettina Milz (Pina Bausch Zentrum).
Eröffnet wurde FRAGILE 2024 mit der partizipativen Performance „LAKE LIFE“ der neuseeländischen Künstlerin Kate McIntosh, eine Einladung zum Wandel und dem empathischen Spiel mit Identitäten. Die kolumbianische Choreografin Martha Hincapié Charry verband in „AMAZONIA 2040“ die dringende Liebeserklärung an den heiligen Fluss, den tropischen Regenwald und den Blick auf Reichtum und Schönheit der Natur mit der Realität der Zerstörung.
Indigenes Wissen und Empathie für Menschen wie Natur brachten auch die Künstler von „African Loop“ aus dem Senegal und der japanische Tänzer und Choreografen Kenji Shinohe aus Wuppertal auf in einem Triple Bill auf die Bühne. KEUR thematisiert den Verlust von Wissen und Würde durch die Missachtung der eignen Traditionen, wie etwa den Lehmbau als Klimalösung.
Bei BELOVED „Oui ou Non“ war die Gewalt gegen Frauen Thema. „TREE TREE“ fand ebenso starke wie zarte Bilder für die unfassbare Zerstörung durch den Tsunami in Japan 2011. Einen Sprung zum Wattenmeer mit seiner Kosmologie zwischen Pflanzen, Tieren, Bakterien, Menschen und Planeten machte „MESOKOSMOS“ von Anja Plonka und Rasmus Nordholt-Frieling.
Kinder- und Jugendtheater im Rampenlicht
In Kooperation mit dem Kunst- und Kulturzentrum LOCH kam die „HÖHLE“ ins Pina Bausch Zentrum, Forschungslabor für innovative Frühpädagogik und Musikabenteuer, in der sich glücklich Kinder zwischen 3 und 5 tummelten. Mit der HipHop-Produktion „EGO – a Journey of Urban Art“ von „Urban Art Complex“ und „TANZRAUSCHEN“ aus Wuppertal begeisterten die jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer.
Selbstermächtigung war auch Thema bei „ICH KANN’S NICHT LASSEN“ von „TANZKOMPLIZEN/Janne Gregor“. Menschen allen Alters tanzten gemeinsam Krump. „GRÜN“ von der Kölner Choreografin und Tänzerin Barbara Fuchs / tanzfuchs in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheater Wuppertal faszinierte ein ebenso altersgemischtes wie diverses Publikum mit der Frage: Was haben Menschen und Pflanzen gemeinsam?
Das Humus-Programm
In allen Ecken und Winkeln des wunderschönen Schauspielhaus-Foyers wurde getanzt – rund um die für 1966 von Dr. Akira Sato entworfenen japanischen Gärten. Das Künstlerduo Deufert & Plischke ermöglichte einen Einblick in ihr Projekt „JUST IN TIME/anarchivTANZ“, mit dem seit acht Jahren in 22 weltweiten Städten Briefe an den Tanz gesammelt und archiviert wurden.
Der in Schottland geborene und in Wuppertal lebende Choreograf, Tänzer und bildende Künstler Mark Sieczkarek war mit Videoarbeiten und einem fragilen Gewand aus verwobenen Kronkorken präsent. Das FRAGILE-FORUM: Aufbruch in eine Zukunft für Alle, gemeinsam mit der Dramaturgin und Transformationsmanagerin Dr. Uta Atzpodien, gab Raum für lebendige Aushandlungsprozesse: Junge engagierte Menschen, wie beispielsweise die „Young Change Watchers“ der Pina Bausch Gesamtschule und Vertretern des Projektes „Schools for Future“, begegneten Politikerinnen und Politikern sowie anderen Akteuren*innen der Stadtgesellschaft.
Ex-Schulsprecherin Lina Börger als Moderatorin
Die junge und vielseitig engagierte Lina Börger von „Schools for Future“ und ehemalige Schulsprecherin der Erich-Fried-Gesamtschule Ronsdorf übernahm die Moderation. Oliver Wagner, Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik am Wuppertal Institut, gab kurze Einblicke in das im Herbst erscheinende Buch „Earth for All Deutschland – Aufbruch in eine Zukunft für Alle“, herausgegeben vom „Club of Rome“ und dem Wuppertal Institut.
Auf sehr positive Resonanz ist auch der Stadtspaziergang von „Architects4Future“ gestoßen – zu abrissbedrohten Gebäuden in Wuppertal und dem Abriss-Atlas als digitale interaktive Plattform.
Rund um FRAGILE 2024 und das zukünftige Pina Bausch Zentrum
Zu Gast bei FRAGILE 2p024 waren auch Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, und Oberbürgermeister Prof. Dr. Uwe Schneidewind. Sie haben die Auszeichnungen der Konzepte beim Studierendenkongress „Circular Insights Days“ übernommen, eine Kooperation mit FRAGILE.
Die Neue Effizienz lädt dabei Studierende und Unternehmen ein, die zirkuläres Wirtschaften als Chance sehen, sich in „ThinkTanks“ zukunftssicher und innovativ aufzustellen. Die „Young Professionals“ haben über drei Tagen an relevanten „Cases“, die Unternehmen formulieren, gearbeitet – in der Alten Glaserei, im Living Lab und im Pina Bausch Zentrum.
Auch das zeigt das Potential von Wuppertal. Der „Case Pina Bausch Zentrum“ war die Entsiegelung und Begrünung von Vorplatz und Umfeld und wurde mit einem spannenden Konzept aus Bäumen, Beeten und auf Schienen laufenden vertikalen Gärten gelöst.
Im Workshop „Kaleidoscope #5 2024“ arbeiteten Professor Christoph Grafe und Ariane Dehghan und 40 junge Architektinnen und Architekten in Kooperation der Universitäten aus Wuppertal und Liège mit dem Pina Bausch Zentrum. Temporäre Installationen zur Verbindung von Innen und Außen, des äußeren Erscheinungsbildes mit dem inneren Raum, zur Transparenz der Fassade als „Gebäudehaut“ wurden rund um das Schauspielhaus entworfen und umgesetzt.
FRAGILE 2024 bei der 10. NRW-Nachhaltigkeitstagung
Einen ganz besonderen Abschluss gab es für FRAGILE 2024 beim 10. Jubiläum der NRW-Nachhaltigkeitstagung mit über 700 Teilnehmenden in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Mona Neubaur, Stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in NRW und Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW eröffneten die Tagung: Ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. OB Schneidewind betonte die Bedeutung des Festivals FRAGILE 2024 als gutes Beispiel für die Transformationspotentiale der „Zukunftskunst“.
Die Bedeutung von Kunst und Kultur für alle Aspekte der Nachhaltigkeits-Transformation – ökologisch, ökonomisch und sozial – stand immer wieder im Fokus. Bettina Milz, inhaltliche Koordinatorin und Leiterin der Vorlaufphase, war eingeladen zur Paneldiskussion “Bekenntnisse der Gesellschaft – zwischen Meinungsverschiedenheit und Miteinander”.
Ihr Credo: Um ins Handeln zu kommen und Ökonomie neu zu bewerten, brauche es Allianzen zwischen Kunst, Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft. Vor allem brauche es Investitionen in die Bildung der Kinder. Dazu würden Kunst und Kultur ebenso gehören, wie gute Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder. Nummer 1 der 17 Nachhaltigkeitsziele sei die Überwindung von Armut als größte Herausforderung der Gegenwart.
60 Aussteller auf dem „Markt der Möglichkeiten“
Auch auf dem „Markt der Möglichkeiten“ mit 60 Ausstellerinnen und Ausstellern war das Pina Bausch Zentrum mit einem Stand vertreten – mit Rollrasen statt Roll-Up. Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW, besuchte den „Markt der Möglichkeiten“ und sprach zur Bedeutung von Kunst und Kultur bei der Nachhaltigkeitsstrategie.
Jetzt ist FRAGILE 2024 beendet. Der „Grüne Teppich“ aus Wiese mit den Bäumen, die die GartenBaumschule Selders freundlicherweise ausgeliehen hat, liegt jetzt unter der Schaukel des Walldorf-Kindergartens. Was beflügelt Kinder wie Erwachsene mehr als die Bewegung – des Schaukelns, Rollens, Springens, Tanzens?
Weitere Infos:
https://under-construction-wuppertal.de
https://wupperinst.org/das-institut
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