16. November 2024

So stellen sich Studentinnen eine geschlechtergerechte Stadt vor

Nach der Gestaltung einer queer-feministischen Stadtkarte mit dem Namen „Stadtkaleidoskop“ haben die Studentinnen Kira Sandrock und Anna Nill nun das Projekt „queering the city“ ins Leben gerufen, dass sich für eine inklusive und geschlechtergerechte Stadtgestaltung einsetzt, so wie sie sich diese vorstellen.

Die Studentinnen Anna Nill (l.) und Kira Sandrock – © UniService Transfer

Unter der Webseite „queeringthecity.org“ sowie dem Instagram-Kanal „@queeringthecity_wuppertal“ machen sie ihre Arbeit und ihre Projekte öffentlich zugänglich. Sie studieren an der Bergischen Universität im Master und engagieren sich seit ein paar Jahren in Wuppertal für eine gendergerechte Stadt: Kira Sandrock und Anna Nill. Autor Uwe Blass hat sich im Rahmen der beliebten Uni-Serie „Transfergeschichten“ mit den beiden Studentinnen unterhalten.“

Als erklärte Liebhaberinnen des kreativen Gestaltens spielt ihr Studienfach „Public Interest Design“ dabei eine entscheidende Rolle. Damit setzen sie professionell Projekte in der Stadt um. „Public Interest Design ist ein interdisziplinärer Master, der sich aus Studierenden aus den Gesellschaftswissenschaften und dem Design zusammensetzt“, erklärt Sandrock, „wir befassen uns mit Stadtentwicklung, mit Teilhabe, mit Transformation im Allgemeinen sowie mit gesellschaftlichen Problemstellungen, die wir dann bearbeiten.“

Stadtkaleidoskop

Im August 2023 präsentierten die beiden Studentinnen im Kulturzentrum „die börse“ bereits ihren Wegweiser mit Orten, die für Frauen, Lesben, inter, trans, nichtbinäre oder agender Personen (FLINTA*) bedeutsam sind. Unter dem Titel „Stadtkaleidoskop“ sensibilisiert die gedruckte Stadtkarte, die auch online vorliegt, für die Thematik der Geschlechterdiskriminierung.

© Bergische Universität

„Da haben wir ein niederschwelliges, für alle zugängliches Verzeichnis mit Anlaufstellen erstellt, das sich an FLINTA*-Personen richtet, um ihnen mehr Sichtbarkeit zu geben“, erklärt Sandrock und fährt fort: „Das Stadtkaleidoskop öffnet Türen zu Orten in Wuppertal, die Individualität feiern und Gemeinschaft stärken. Das sind Beratungs- und Anlaufstellen, Netzwerke aber auch Bars, Cafés, Clubs, Veranstaltungen und digitale Angebote. Wir möchten die Orte in unserer Stadt hervorheben und Menschen dazu ermutigen, diese Orte zu entdecken“.

queeringthecity.org

Die Internetseite www.queeringthecity.org und der Instagram-Kanal „@queeringthecity_wuppertal“ machen die Projekte sichtbar. So können sich Interessierte auch nachträglich mit den Inhalten beschäftigen, selbst wenn sie an den Veranstaltungen nicht teilnehmen konnten.

Zum Beispiel lassen sich die regelmäßig organisierten Stadtspaziergänge nun eigenständig durchführen: Die Karte kann genutzt und an den Stationen passende Audios abgespielt werden. „Unser Ziel ist es, die erarbeiteten Inhalte damit so zugänglich wie möglich zu machen“, erklärt Anna Nill. So habe man nun im Netz alles Gesammelte auf einen Blick.

Ausstellung „Gendergerechte Stadt“ am Laurentiusplatz

Kira Sandrock und Anna Nill arbeiten emsig an ihren Projekten. „Nach der Veröffentlichung des Stadtkaleidoskops haben wir uns thematisch noch mehr mit dem Stadtraum befasst, um uns dann in „queeringthecity“ mit verschiedenen Projektbausteinen mit der Frage einer geschlechtergerechten Stadt zu beschäftigen,“ erklärt Anna Nill. Bereits im Frühjahr präsentierten sie zum Weltfrauentag eine partizipative Ausstellung auf dem Laurentiusplatz.

„Wir wollten uns mit dem Thema beschäftigen, aber nichts den Bürger*innen überstülpen, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen und erst einmal fragen, wie die Personen, die in Wuppertal leben, die Stadt wahrnehmen“, erzählt Anna Nill. „Um das herauszufinden, haben wir diese partizipative Ausstellung entwickelt.“

Auf verschiedenen Infotafeln erfuhr man, an wen eigentlich im öffentlichen Raum erinnert wird, bei Mitmachaktionen konnten Interessierte etwa auf einer Stadtkarte Punkte anbringen, die zeigten, an welchen Orten man sich wohlfühlen oder auch unbehaglich fühlen kann. Ein Briefkasten lud dazu ein, seine eigenen Geschichten und Erfahrungen, sowohl zu Diskriminierungs- als auch Empowermenterfahrungen im öffentlichen Raum aufzuschreiben und den Veranstalterinnen zu übergeben. „Dieser Briefkasten ist danach noch in einige Initiativen und Gruppen gewandert, wo noch mehr Leute ihre Geschichte aufschreiben konnten. Diese Geschichten haben wir dann mit in unsere Stadtspaziergänge einfließen lassen.“

Anna Nill (l.) und Kira Sandrock bei der Info-Veranstaltung im „LOCH“ – © UniService Transfer

Stadtspaziergänge

Die Stadtspaziergänge sind ein weiteres Format, welches sich aus vergangenen Projekten entwickelt hat. „Wir haben Stadtführungen, also Stadtspaziergänge entwickelt, die ungefähr zwei Stunden dauern“, berichtet Sandrock, „wir starten am Laurentiusplatz und drehen eine Runde durch Wuppertal. Wir halten an elf Stellen, die für geschlechtergerechte Stadtgestaltung relevant sind und informieren dort zu verschiedenen Themen, wie die männlich dominierte Erinnerungskultur, Ängste von FLINTA* in öffentlichen Räumen, Freizeitgestaltung, Care-Arbeit und Architektur. In diesen kostenlosen Führungen greifen wir dann auch auf die Geschichten aus den Briefkästen zurück.“

Workshop untersucht vermeintliche Genderprobleme in der Stadt

Vor kurzem haben die beiden Organisatorinnen einen dreitägigen Workshop durchgeführt, in dem sie sich mit den Teilnehmenden intensiv mit der Stadt beschäftigt haben. Dazu Anna Nill: „In einem Teil des Workshops sollten die Teilnehmenden noch einmal selber in die Stadt gehen, um machtkritisch Fotos von diskriminierenden Strukturen zu machen. Anhand dieser Eindrücke haben wir dann Probleme definiert und anschließend Lösungen entwickelt. Zum Abschluss wurden dann noch einzelne beispielhafte Ideen kreativ ausgearbeitet, die dann in der folgenden Veranstaltung im Kulturzentrum „LOCH“ in einer Ausstellung gezeigt wurden.“

Ein Konzeptpapier mit Forderungen, die Wuppertal zu einer geschlechtergerechteren Stadt werden lassen, wurde am Veranstaltungsabend der Stabsstelle Gleichstellung und Antidiskriminierung überreicht. Die Themen wurden in einer Podiumsdiskussion mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Stadtplanung, Architektur, Forschung und Antidiskriminierungsarbeit vertieft. Gemeinsam wurde erörtert, wie öffentliche Räume gestaltet sein müssen, um Menschen aller Geschlechter Sicherheit, Zugänglichkeit und Lebensqualität zu bieten.

Wie sollte denn eine gendergerechte Stadt gestaltet sein?

„Eine gendergerechte Stadt muss sich auf jeden Fall mit den Bedürfnissen aller Menschen auseinandersetzen, und zwar nicht nur die Bedürfnisse mit einbeziehen, sondern auch den betroffenen Personen Gestaltungsmacht geben“, sagt Kira Sandrock. „Es ist ja immer noch so, dass die Stadtgestaltung und auch Entscheidungspositionen oft männlich besetzt sind. Da kann man dann einen Gender-Mainstreaming-Ansatz drüberlegen, der dann besagt, dass Geschlechterfragen immer mitgedacht werden müssen, aber so einfach ist es nicht. Es muss auch Gestaltungsmacht umverteilt werden, sodass alle Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit haben, mitzuwirken. Das kann einerseits mit Menschen in Entscheidungspositionen passieren, aber eben auch durch Partizipationsmöglichkeiten.“

Frau – Divers – Mann – © Pixabay

Die Erinnerungskultur müsse überdacht werden, denn die sei sehr männlich belegt und das zeige sich z. B. in Straßennamen oder auch Denkmälern. „Es gibt tatsächlich in Wuppertal mehr Straßen, die nach Vögeln benannt sind, als Straßen, die nach Frauen benannt sind“, erklärt sie.

Auch die Situation der öffentlichen Toiletten müsse verändert werden, denn das schränke die Freiheit von FLINTA*-Personen extrem ein. Die Themen Sicherheit und Angst müssten bearbeitet werden, um ein höheres Sicherheitsgefühl in der Stadt zu schaffen und auch das Thema Freizeitangebote sei wichtig, denn selbst die seien meist männlich konnotiert.

Wichtig ist den Organisatorinnen vor allem die Stärkung der Sichtbarkeit des Themas und die Anregung zum Diskurs. „Es gibt einige Diskriminierungen, die wir gar nicht wahrnehmen, weil wir in dieser Welt aufgewachsen sind“,  betont Kira Sandrock zum Schluss. „Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen, auch in den städtischen Strukturen. Aktuell ist im Stadtentwicklungskonzept noch gar nicht die Rede von geschlechtergerechter Planung oder von geschlechtergerechten Maßnahmen. Das muss sich ändern.“

Uwe Blass

Anna Nill (l.) und Kira Sandrock – © UniService Transfer

Über Anna Nill & Kira Sandrock

Anna Nill und Kira Sandrock studieren „Public Interest Design“ im Master an der Bergischen Universität Wuppertal.

Kommentare

Neuen Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert