17. November 2024Peter Pionke
Gebäude-Komplex „Vorwärts“: Helle und dunkle Zeiten
Hier treffe ich mich mit Dr. Stefan Kühn, Ex-Sozialdezernent der Stadt Wuppertal und neuer 1. Vorsitzender des Fördervereins „Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ und dem Historiker und Fördervereinsmitglied Reiner Rhefus zu einem exklusiven Rundgang durch die Ausstellung „Mit uns zieht die neue Zeit – Konsumgenossenschaften im Rheinland “.
Die mehr als sehenswerte Ausstellung ist im 3. Obergeschoß des hinteren Gebäudes zu bestaunen, dort wo früher das Mehl und andere Zutaten für die daruntergelegene Großbäckerei gelagert wurden.
Dr. Stefan Kühn: „Die Gründung der Konsumgenossenschaft ‚Vorwärts‘ war die Antwort auf die Lebensverhältnisse der damaligen Zeit. Und wie sahen diese aus: Hunger, Wohnungsnot, 70-Stunden-Woche, hohe Kindersterblichkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse. All dies war erschreckende Lebenswirklichkeit. Da kam man auf die Idee, im großen Stile insbesondere Lebensmittel preisgünstig einzukaufen, diese an Mitglieder für kleines Geld weiterzugeben und die Handelsspanne, die sich sonst Kapitalisten in die Tasche stecken würden, anzu sparen. Man wollte so aus eigener Kraft ein Gegenmodell zum Kapitalismus schaffen. Das war die sozialistische Grundidee dahinter.“
Ein Blick in den Rückspiegel: Von den Gewerkschaften angeschoben wurde die Konsumgenossenschaft „Vorwärts Barmen“ am 15. Mai 1899 von 30 Männern gegründet. 1912 hatte „Vorwärts“ unter Leitung von Karl Eberle bereits 14.000 Mitglieder und über 200 Beschäftigte.
Schon bald wurde beschlossen, selbst Lebensmittel preisgünstig zu produzieren. „Grundnahrungsmittel war damals das Brot. Es fraß aber rund 10 Prozent des Monatslohns auf. Da lag es auf der Hand, eine eigene Bäckerei zu gründen und selbst Brot herzustellen. Später kamen auch weitere Lebensmittel wie Käse, Wurst und Fleischwaren dazu. Und schließlich auch das Genussmittel Bier“, erklärt Stefan Kühn.
Gelände in Sichtweite der Nordbahntrasse
1904 kaufte die Konsumgenossenschaft das Grundstück an der Münzstraße in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Bahnhofs Heubruch, in Sichtweite der heutigen Nordbahntrasse
Das viergeschossige Lager- und Kontorhaus mit seiner Jugendstilfassade direkt an der Münzstraße entstand zwischen 1005 und 1908. Für damalige Zeiten innovativ: Die Etagen waren durch zwei Aufzüge mit dem Tiefgeschoss verbunden. Hier gab es eine Verlade-Station für Eisenbahnwaggons – z.B. für das Anliefern des Mehls. Der Tunnel ist auch heute noch zu besichtigen.
Das Hauptgebäude mit dem Schriftzug „Vorwärts“ auf der markanten Fassade war Sitz der Verwaltung, der genossenschaftseigenen Sparkasse, der Sterbekasse, der Gewerkschafts-Arbeiterbank und der Versicherung „Volksfürsorge“. Außerdem gab es hier einen großen Versammlungssaal.
1906 ging im hinteren Gebäude die erste Großbäckerei an den Start. Wie schon beschrieben, wurde das Mehl mit Eisenbahnwaggons unterirdisch angeliefert und mit den Aufzügen in die Lagerhallen im 2. Obergeschoß transportiert. In der 1.Etage standen die großen Maschinen, die den Teig für die Brotproduktion mischten. Über eine motorisierte „Schnecke“ wurde die fertige Teigmasse in die Backstube im Erdgeschoss geschafft.
Die Fusion der Konsumgenossenschaften
Unter dem Hof befanden sich zwei Tiefgeschosse mit Lagerräumen für Lebensmittel (Käse, Wurst) und auch eine Abfüllanlage für Bier. Ein durchdachtes, ausgetüfteltes System.
Die Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ Barmen, die 1924 mit der Elberfelder Konsumgenossenschaft „Befreiung“ und der Velbert Konsumgenossenschaft „Hoffnung“ fusionierte und von da an Konsumgenossenschaft „Vorwärts-Befreiung“ hieß, wuchs ständig. Irgendwann reichte die Kapazität der Bäckerei nicht mehr aus, um die zu Hochzeiten über 150 Verteilstellen in der Region mit Pferdefuhrwerken zu beliefern. Deshalb entstand von 1914 bis 1916 neben der alten Bäckerei ein neues dreistöckiges Gebäude – die zu der Zeit modernste Großbäckerei des Bergischen Landes.
Dr. Stefan Kühn: „Die Mitglieder waren gleichzeitig Miteigentümer der Genossenschaft. Sie trafen sich regelmäßig in den Verteilstellen und hatten ein Mitspracherecht – zum Bespiel was die Preise anging. Und da diese gewöhnlich leicht unter Marktniveau lagen, konnte immer ein Überschuss erwirtschaftet werden und dieser wurde am Jahresende an die Mitglieder verteilt. Das war dann ein halber Monatslohn und mehr.“
Im 3. Obergeschoß, wo heute die Ausstellung zu sehen ist, befand sich das Mehl- und Zutaten-Lager. Über Trichter und Schütten gelangte es in die 2. Etage. Hier standen die großen Kübel, die den Teig kneteten, aus dem schließlich im Erdgeschoß in großen Auszugöfen verschiedene Brotsorten gebacken wurden. Ein Treppenturm verband alte und neue Bäckerei. Zeitweise wurden hier 50.000 Brote pro Tag gebacken.
Wohnhäuser für Mitglieder und Beschäftigte
Fünf Wohnhäuser für Mitarbeiter und Konsumgenossenschaftsmitglieder vervollständigen 1910 das Gebäude-Ensemble. Die Wohnungen hatten eine für die damaligen Verhältnisse fast luxuriöse Ausstattung. Reiner Rhefus: „In jeder Wohnung gab es eine eigene Toilette, ein separates Bad mit Emaille-Badewanne, Einbauschränke und einen Balkon auf der Rückseite.“ Zur Blütezeit hatte die Konsumgenossenschaft „Vorwärts-Befreiung“ rund 50.000 Mitglieder und 800 Beschäftigte.
Letzter Ableger der Konsumgenossenschafts-Bewegung war die Supermarkt-Kette CO OP. Stefan Kühn: „Die Nazis hatten 1933 alles was mit Gewerkschaftseigentum und mit Arbeiterbewegung zu tun hatte, brutal zerschlagen. Nach 1945 wurde zwar ein Teil des Eigentums zurückgegeben, aber dann in neue Strukturen, das war dann CO Op. Aber irgendwann in den 70er Jahren funktionierte das Konzept nicht mehr.“
Der Ex-Dezernent weiter: „Das hatte unterschiedliche Gründe. Genossenschaften leben davon, dass sich Menschen gemeinsam für eine Sache einsetzen. Und das, was die Arbeiter- und Genossenschaftsbewegung ausgemacht hat, ist nach dem Faschismus in der Form nicht wieder auferstanden. Es kamen die Supermärkte auf. Von daher war auch die Frage der Versorgung mit Lebensmitteln eine ganz andere geworden. Die Folge war ein wirtschaftlicher Strukturwandel.“
Das Sterben der Konsumgenossenschaften
Reiner Rhefus ergänzt: „Billiges Brot, billige Lebensmittel. Das erforderte schließlich mehr Effizienz, mehr Wachstum. Eigentlich ein kapitalistisches Prinzip. Doch dem konnten und wollten sich auch die Genossenschaften nicht verschließen. Aus CO OP, wurde ein Deutschland weites, riesiges Unternehmen. 1987 dann die Umwandlung der Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft. Durch den Expansions-Prozess ging der Kontakt und die Identifikation mit den Mitgliedern immer mehr verloren. In Deutschland wurden die Genossenschaften letztendlich gegen die Wand gefahren. In anderen Ländern gibt es sie noch.“
Für die Zentralanlage an der Münzstraße war bereits 1930 „Schicht im Schacht“ oder „Feierabend“! Die Konsumgenossenschaft „Vorwärts-Befreiung“ tauschte das heute unter Denkmalschutz stehende Gebäude-Ensemble gegen ein Grundstück auf Clausen, Sitz der neuen Zentrale.
Danach erlebte der Komplex, der sich heute noch im Besitz der Stadt Wuppertal befindet, ganz dunkle Zeiten. 1933 überließ der neugewählte Stadtrat Barmens der Sturm-Abteilung (SA) der NSDAP das Gelände an der Münzstraße.
Standort der berüchtigten „SA“ – ein trauriges Kapitel
In die ehemalige „Vorwärts“-Zentrale zogen 12 „Stürme“ (SA-Standarte 171) ein. Der berüchtigte „Sicherheitsdienst“ machte sich mit seiner umfangreichen Kartei über Oppositionelle in der Ex-Bäckerei breit und verbreitete von hier aus Gewalt und Terror. Politische Gefangene wurde verhört und gefoltert, um anschließend unter unmenschlichen Bedingungen im Tiefgeschoß eingesperrt zu werden.
Viele der Gefangenen aus dem Knast des Sicherheitsdienstes landeten anschließend im inzwischen gebauten Konzentrations- und Gefangenenlager Kemna bei Laaken.
Bis Juni 1943 wurde der Gebäudekomplex von der SA und später von der Wehrmacht genutzt, dann sorgte ein Bombenangriff der Alliierten dort für verheerende Schäden. Von 1954 bis 2000 war die ehemalige „Vorwärts“-Zentrale dann Flüchtlingsauffanglager der Stadt Wuppertal.
Und heute ist der Gebäude-Komplex an der Münzstraße ein beeindruckender, architektonischer und geschichtlicher Zeitzeuge. Der „Förderverein Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ hat – so Dr. Stefan Kühn und Reiner Rhefus – ein ambitioniertes Ziel: Künftig sollen möglichst mehr als nur eine Etage des denkmalgeschützten Gebäudes als Museum und Ausstellungsfläche, aber auch als attraktive Location für kulturelle Events unterschiedlichster Art genutzt werden. Schauen Sie einmal rein, in die spannende Dauerausstellung – es lohnt sich!
Text Peter Pionke
„Mit uns zieht die neue Zeit“
„Vorwärts“ und die Konsumgenossenschaften im Rheinland – Ausstellung zeigt 125 Jahre Industrie- und Sozialgeschichte
Gebäude Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ – Münzstr. 51 – 42281 Wuppertal
Die Ausstellung ist“ jeden 1. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet.
Der Eintritt ist frei.
Weitere Infos über den „Förderverein Konsum-Genossenschaft e.V.“ finden Sie HIER:
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