19. November 2024Peter Pionke
Transmutation – kann man Atommüll recyceln?
Radioaktiver Müll lässt sich vielleicht aber auch recyceln, eine Idee, die sich der Laie kaum vorstellen kann. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet ´Transmutation`. Der Astrophysiker Professor Karl-Heinz Kampert von der Bergischen Universität weiß, wie so ein Verfahren funktioniert und was dabei alles zu bedenken ist. Im Rahmen der beliebten Uni-Reihe „Transfergeschichten“ hat Autor Uwe Blass Mit Prof. Kampert darüber gesprochen, wie man nuklearen Abbrand wieder aufarbeiten kann.
Transmutation
Die erste zu beantwortende Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage, woher dieser ganze nukleare Müll kommt. Dazu Kampert: „Wenn wir Kernreaktoren betreiben oder in der Vergangenheit betrieben haben, entsteht sogenannter nuklearer Abbrand, d. h., wir spalten Urankerne, und dann entstehen Spaltprodukte. Die sind radioaktiv und zerfallen über längere Zeit. Gleichzeitig erzeugen wir auch neue spaltbare Kerne, wie Plutonium. In unseren Leichtwasserreaktoren verbrennen wir also nicht nur Plutonium, sondern wir erzeugen auch Plutonium. Und da kommen mittlerweile viele Tonnen zusammen.
Diese Komponenten, also Plutonium, aber auch andere Transurane und Spaltprodukte, die quasi erzeugt werden, sind radioaktive Abfälle, und die müssen entsorgt werden.“ Bisher werde dieser strahlende Müll schwerpunktmäßig unter der Erde gelagert, wo er mehrere hunderttausend Jahre hoch aktiv bleibt. Ob unsere Lagerstätten auch so lange funktionieren, wisse heute noch niemand. An dieser Stelle rücke das Thema Transmutation in den Vordergrund.
„Da gibt es die Idee, dass man diesen Abbrand tatsächlich nochmal wieder verändert, d.h. die langlebigen Isotope, die zum Teil viele hunderttausend Jahre Halbwertzeit haben, in kurzlebige Isotope umwandelt, so dass insgesamt der nukleare Abfall nicht über viele hunderttausend Jahre vorsichtig gelagert werden muss, sondern nur über eine Zeitskala von hundertfünfzig oder zweihundert Jahren. Transmutation ist die Mutation der Kerne zu anderen, die kurzlebiger sind.“
Keine Umwandlung ohne Partitionierung
Seit den 1960er Jahren wird das Verfahren der Transmutation bereits indirekt in der Physik angewandt. „Wenn man Brennmaterial für Kernreaktoren herstellt, muss man bei konventionellen Reaktoren Uran 235 in genügender Konzentration als Brennstoff haben. Das kommt in der Natur zu 0,7 % in Uranminen vor. Die Reaktoren benötigen aber 3-5% Anreicherung. Das Hauptisotop ist Uran 238, das ist quasi das Natururan. Zur Anreicherung des Uran 235 gibt es die sogenannten Anreicherungsanlagen.“
Anlagen dieser Art seien eine Voraussetzung für den Prozess der Transmutation, der jedoch immer in einem Atemzug mit dem Begriff Partitionierung genannt werden müsse. „Zunächst nehme ich also den nuklearen Abfall, separiere den und hole bestimmte Isotope heraus, die ich dann transmutiere. Aber das ist extrem aufwändig und teuer. Vor allem der vorgelagerte Prozess der Partitionierung ist die aufwändigere Industrie, denn da muss ich viel ´schmutzige Chemie` machen, um diese langlebigen Isotope vom übrigen Abbrand zu trennen.“ Man spreche dann immer von P&T und das gehe auch nur in mehreren Zyklen.
Wiederaufbereitungsanlagen
Nun haben Wissenschaftler die Idee, die hoch radioaktiven Transurane einfach in andere Elemente zu verwandeln, die weniger lange strahlen und weniger giftig sind, um so dem Atommüll seinen Schrecken zu nehmen. „Das geht im Prinzip“, bestätigt Kampert, „tatsächlich schafft man es, die besonders langlebigen Isotope umzuwandeln, aber das ist extrem aufwändig und teuer.“
Als Beispiele, die wir aus der Presse kennen, nennt er die Wiederaufbereitungsanlagen ‚La Hague‘ in Frankreich und ‚Sellafield‘ in England, die diese ’schmutzige Chemie‘ betrieben haben und von denen immer auch Stoffe in die Umwelt gelangt sind. „Von diesen Anlagen bräuchten wir dann eine ganze Reihe und zwar noch viel aufwändiger, als das, was wir bisher gemacht haben. Diese Partitionierung ist besonders schwierig und umwelttechnisch sehr umstritten. Theoretisch geht das, aber für die großindustrielle Anwendung muss sich das erst noch entwickeln. Heute sind wir noch nicht soweit.“
Atommüll recyceln?
Deutschland muss rund 10.000 Tonnen Atommüll einlagern. Das entspricht einem Volumen von 20.000 Kubikmetern – vier Fußballfelder, die einen Meter hoch mit Atommüll bedeckt sind. Neben Uran sind auch mehr als 100 Tonnen des hoch radioaktiven und extrem giftigen Elements Plutonium darin. Könnte man also mit dem Verfahren der Transmutation auch Atommüll recyceln? „Ja“, antwortet Kampert spontan, „tatsächlich könnte man Atommüll recyceln. Wenn ich als Physiker denke, ist der Abbrand in gewisser Weise auch wertvoll, denn da ist noch viel Uran und auch Plutonium drin. Es gibt ja einen Reaktortyp in Hamm-Uentrop und Kalkar, der in Deutschland nie wirklich in Betrieb gegangen ist. Hamm-Uentrop ist kurz angelaufen und Kalkar eben nicht, das sind die sogenannten ‚Schnellen Brüter‘. Brüter bedeutet, sie erbrüten sozusagen ihren eigenen Brennstoff und schnell bedeutet, dass sie mit schnellen Neutronen arbeiten.“
Das Prinzip sei vereinfacht so, dass man Natururan nehme und ein wenig verändere. Natururan bestehe immer aus Uran 238 und auch aus ein wenig Plutonium. „Wenn ich jetzt Neutronen einfange an Uran 238, dann entsteht Uran 239 und nach zwei Tagen Halbwertzeit, also ziemlich schnell, Plutonium 239. Das heißt also, dass jeder Reaktor auch Plutonium erbrütet. Und die Schnellen Brüter sind darauf ausgelegt, dass sie Natururan nehmen und sich ihren Brennstoff, das Plutonium, selber herstellen. Das ist physikalisch betrachtet unglaublich attraktiv.“
Man habe eine viel höhere Ausnutzung des Urans, weil alles Uran verwendet werde, um Plutonium zu erbrüten. Das Plutonium verbrenne man dann und recycle es immer wieder. In den herkömmlichen Reaktoren werde also durch Partitionierung Uran 235 immer angereichert auf 3-5%, dann verbrannt und der Abfall wieder angereichert. Bei den Schnellen Brütern sei das Uran 238 wichtig, weil man damit im Reaktor den Brennstoff Plutonium erzeuge, was man dann spalte, um die Energie freizusetzen. Energetisch sei das natürlich attraktiv, auf der anderen Seite sei die Kühlung sehr aufwändig.
Transmutation durch Beschuss
Zumindest auf dem Papier existiert bereits ein Verfahren, dass man Partitionierung und Transmutation (P&T) nennt. Dazu benutzt man schnellere Neutronen. Durch den Beschuss mit Neutronen könnte man z. B. Plutonium-239 mit einer Halbwertzeit von 24.000 Jahren in das stabile Ruthenium 104 und das kurzlebige Cäsium-134 umwandeln. „Die Idee dabei ist, dass ich alle langlebigen Isotope quasi transmutiere zu kurzlebigeren Isotopen.“ Bei der Transmutation gebe es zwei Ansätze. Das eine sei, dass man etwas veränderte Kernreaktoren nehme, die nicht auf Energieerzeugung optimiert seien mit dem Ziel, möglichst viele Isotope umzuwandeln. Das werde auch schon in verschiedenen Ländern verfolgt.
„In Europa gibt es eine weitere Methode, die technisch sehr interessant ist: die beschleunigerbasierte Transmutation. Man nimmt nicht den Reaktor als Neutronenquelle, sondern einen Teilchenbeschleuniger, mit dem man Neutronen erzeugt. Das sind Spallations-Neutronenquellen (Bei der Neutronenerzeugung durch Spallation wird pro Neutron sechsmal weniger Energie aufgewendet als bei der Kernspaltung, Anm. d. Red.). Dabei schieße ich zwar Atomkerne aufeinander, aber es entstehen keine langlebigen Isotope, sondern da kommen Neutronen raus. Ich nutze einen starken Strombeschleuniger, den ich auf ein Ziel schieße, Neutronen erzeuge und dann eine Neutronenquelle habe. Und diese Neutronenquelle kann ich ganz gezielt einsetzen, um bestimmte Isotope umzuwandeln.“
Das sei deswegen sehr kontrolliert, weil, wenn man den Beschleuniger abstelle, es auch sofort vorbei sei. Das sei der Unterschied zum Reaktor, der immer lange Vor- und Nachlaufzeiten habe. „Die Beschleuniger basierte Technik ist eleganter. Es ist, als ob man ganz gezielt mit dem Seziermesser arbeiten würde. Die Technik dafür ist da. Aber auch da komme ich nicht umhin, die Partitionierung vorher zu machen, die muss immer sein.“
Transmutation – eine Alternative zum Endlager?
Die Endlagerung unseres Atommülls wird sich nach jüngsten Pressemeldungen voraussichtlich um Jahrzehnte verschieben. Aber wäre das P&T-Verfahren wirklich eine Alternative? „Ich persönlich bin skeptisch“ sagt Kampert prompt, „auch die Empfehlung der Internationalen Atomenergiebehörde und eines Gutachtens im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) von vor zwei Jahren geht nicht dahin, wenngleich die weitere Forschung daran empfohlen wird. In dieser Empfehlung werden drei Alternativen diskutiert. Einmal diese Beschleuniger, die viele Vorteile mit sich bringen würden, aber eben mit der aufwändigen, teuren und dreckigen Partitionierung einhergehen müsste, dann gibt es zwei reaktorbasierte Alternativen und bei der chemischen Partitionierung auch zwei unterschiedliche chemische Verfahren, die beide schmutzig sind. Das alles ist dann auch nur machbar, wenn man von jetzt an noch mindestens 30 Jahre Forschungszeit einplant.“
Hinzu kämen viele weitere Probleme, denn es würden dann auch viele Wiederaufbereitungsanlagen, die gebaut werden müssten, benötigt, um die Partitionierung dort vornehmen zu können. Und die wolle niemand vor der Haustüre haben. „Es entsteht bei der Transmutation dann auch wieder Abbrand, der zwar kurzlebig ist, aber in der Menge mehr wird. Ich werde damit die Radioaktivität nicht los, ich verändere nur ihre Langlebigkeit in eine Kurzlebigkeit. Cäsium und Strontium sind auch ein Problem, wir erinnern uns an Tschernobyl 1986. Nach der Reaktorkatastrophe sollte keiner mehr Freilandsalat essen, weil Cäsium und Strontium durch den Regen auf die Felder gewaschen wurde, über Nahrungsmittel in unsere Körper gelangen konnte und Organe und Knochen schädigte.“
Klar ist, dass Uran und Plutonium über den Alphazerfall besser abschirmbar seien als andere Isotope. „Bei der Transmutation entsteht ein kurzlebigeres Übel mit höherer Intensität. Der Weg dahin ist aufwändig und auch politisch schwer umsetzbar.“
40% des radioaktiven Abfalls ist bereits verglast
Kampert hat einige Jahre in Karlsruhe gearbeitet und erzählt: „Am Forschungszentrum Karlsruhe, genau wie Jülich damals als Reaktorforschungszentrum unter Franz-Joseph Strauß gegründet, hat man nukleare Abfälle verglast. Wir kennen ja alle die Bilder, wenn da Ölcontainer unter der Erde liegen, die rosten und deren Inhalt ausläuft. Da hat man dann schon vor über 20 Jahren die sogenannte Verglasungstechnik entwickelt. D.h., da werden die Abfälle kompakt in einem Glaskörper eingebracht. Glas verrostet nicht, aber es liegt auch in Karlsruhe nach wie vor oberirdisch, weil man das irgendwie auch nicht endlagern will. Es war für die Endlagerung gedacht, weil es viel besser ist, als die Fässer und es sind auch bisher schon ca. 40% des radioaktiven Materials verglast. Auch da müssen wir uns Gedanken machen, was wir mit dem verglasten Material machen, denn diese Materialien kann man nicht mehr aus dem Glas herausholen, um sie zu partitionieren. Die dafür notwendige Technik gibt es einfach noch nicht. Wir haben also keine ganzheitliche Lösung.“
Transmutation in Deutschland gesellschaftlich nicht akzeptiert
In Deutschland sei die Transmutation politisch nicht durchsetzbar und auch der Bevölkerung nicht erklärbar, da man sich ja bereits von den Kernkraftwerken verabschiedet habe, versichert Kampert, denn man müsse ja wieder in die ungeliebte Technik investieren, um den Abbrand zu transmutieren. Andere Länder gingen da forscher vor. So sei Frankreich sogar internationaler Spitzenreiter in der Aufbereitung und Partitionierung. In der Stadt Mol in Belgien soll in den 2030er Jahren sogar die erste Demonstrationsanlage MYRRHA an den Start gehen. „In Belgien wird tatsächlich der erste Prototyp einer beschleunigergetriebenen Anlage in Kombination mit einem unterkritischen Reaktor entstehen.
Mit dem Bau der 1,6 Mrd. € veranschlagten Anlage wurde im Juli diesen Jahres begonnen. Die Belgier haben viel mehr Kernkraft gemacht als wir und haben natürlich auch das Problem der Entsorgung, aber sie haben sich darum gekümmert. Dazu kommt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz im Unterschied zu Deutschland dort gegeben war. Sicher könnte man mehr investieren, aber die Frage ist, ob man nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreibt, weil man durch die Chemie der Partitionierungsanlagen viel Abfall und weitere radioaktive Abfälle erzeuge, die man auch sichern muss.“
Die Hoffnung sei natürlich, sagt Kampert zum Schluss, dass die Länder, die daran forschen, vielleicht etwas entwickeln, was auch noch etwas Nützliches aus dem Abbrand hervorbringe. Vielleicht entstehe dort sogar eine Industrie, die den Abbrand anderer Länder mit verwerte. In Deutschland fehle dafür augenblicklich vor allem die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Uwe Blass
Über Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert
Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert studierte von 1977 bis 1983 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Physik. Von 1983 bis 1986 war Kampert wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Westfälischen Wilhelms-Universität und promovierte 1986. Anschließend war er für drei Jahre als postdoktoraler Forschungsstipendiat an der Großforschungseinrichtung CERN in der Schweiz tätig.
Von 1989 bis 1995 war er Assistenzprofessor für Physik an der Münsteraner Universität, währenddessen habilitierte er sich 1993. Anschließend lehrte er als Professor der Physik an der Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum Karlsruhe, die 2009 beide zum Karlsruher Institut für Technologie fusionierten. Seit 2003 lehrt er schließlich Experimentalphysik an der Bergischen Universität Wuppertal.
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