12. Dezember 2024

Organist Erik Larsen: Weihnachtsmusik hinter Gittern

Erik Einar Larsen verbringt sehr viel Zeit im Knast! Und das auch an den Weihnachttagen. Doch ziehen Sie keine falschen Schlüsse! Der Wuppertaler hat eine blütenweiße Weste, aber einen außergewöhnlichen Job. Der Musiker ist Organist in der JVA Simonshöfchen. Heiligabend und an beiden Weihnachtsfeiertagen sitzt er bei insgesamt sieben Gottesdiensten und Messen hinter der Orgel.

Organist Erik Einar Larsen bei einer Beerdigung in der St. Pius Kirche in Barmen – © Paul Coon

„Da mein katholischer Organisten-Kollege mittlerweile im Ruhestand ist, spiele ich bei allen christlichen Feiern Orgel. Die Kapelle ist weihnachtlich geschmückt. Da gibt es einen fünf Meter hohen Weihnachtsbaum und eine wunderschöne Krippe“, beschreibt der gebürtige Wuppertaler die Weihnachtsatmosphäre in der Haftanstalt, die neben den Insassen, dem Personal, den Priestern und ihm niemand sonst hautnah miterleben kann.

Erik Einar Larsen hat einen Sensor und ein offenes Ohr für die Probleme der JVA-Insassen. Er weiß nur zu gut, dass Weihnachten psychologisch die schwierigste Zeit für die Gefangenen ist. „Die Inhaftierten dürfen weder Heiligabend noch am 1. und 2. Weihnachtstag Besuch empfangen. Außerdem werden alle drei Tage wie Feiertage behandelt, was bedeutet, dass die Gefangenen nach dem Mittagessen ihre Zellen nicht mehr verlassen können“, erklärt der Knast-Organist.

Als kleines Trostpflaster bekommen die Inhaftierten von den Seelsorgern ein Paket mit Nahrungsmitteln. Wer mit der Einsamkeit an Weihnachten, für viele das Fest der Liebe, psychisch nicht klarkommt, dem steht auf Anforderung Notfallseelsorger zur Seite.

Hat einen trockenen Humor: Organist Erik Einar Larsen – © Paul Coon

Erik Einar Larsen hat bei seinen Einsätzen hinter Gittern künstlerisch und liturgisch völlig freie Hand. Da lässt er in den Gottesdiensten auch einmal Songs von „Deep Purple“ oder aus den Kino-Klassikern „Star Wars“ oder „Der Pate“ in Messe und Abendmahl anklingen – Lieder, die garantiert in keinem kirchlichen Gesangbuch stehen.

Es muss nicht immer Bach oder Mozart sein, so die Philosophie von Erik Einar Larsen, der an der Uni Wuppertal Schlagzeug und Klavier studiert hat. „Die Orgel ist sozusagen meine dritte Fremdsprache“, erklärt der sympathische Musiker augenzwinkernd.

Zur Musik kam er schon als kleiner Junge: „Im Kino meiner Großeltern stand noch ein Klavier aus alten Stummfilmzeiten. Auf dem habe ich dann so lange herumgeklimpert, bis es Opa Alfons zu uns nach Hause ins Wohnzimmer transportieren ließ“, erzählt Erik Einar Larsen.

Per Zufall im Knast gelandet

Aber wie landet man dann später im Gefängnis? Als Organist, versteht sich! Die Erklärung ist – so der Künstler – eigentlich ganz einfach. „Ein ehemaliger Musikschüler war Vikar in der JVA Simonshöfchen. Er bat mich vor 16 Jahren, eine Vertretung zu übernehmen. Ich fand die Atmosphäre im Knast spontan interessant und habe mir selbst ‚lebenslänglich‘ gegeben. Ich habe dann meine Orgelstelle in Hammerstein gekündigt, um mich in Zukunft voll auf die JVA zu konzentrieren.“

Erik Einar Larsen bekam von der Wuppertaler Justizvollzugsanstalt quasi einen Honorar-Vertrag auf Lebenszeit. Er verkörpert längst viel mehr als nur den Organisten, der die Messen und Gottesdienste musikalisch ausschmückt.

Er ist Ansprechpartner für die Gefangenen, hört sich ihre Probleme an, führt viele Gespräche mit ihnen, und sieht sich inzwischen selbst als ehrenamtlichen Seelsorger.

Ein glückliches Paar: Erik Einar Larsen mit Ehefrau Silvia – © Paul Coon

Der Organist mit dem großen Herz ist bei den Inhaftierten sehr beliebt. Sicher auch ein Grund, warum die Gottesdienste in der Gefängniskapelle besser frequentiert sind, als die in den meisten normalen Kirchen. Das Bemerkenswerte: Die Gefangenen verzichten dafür am Sonntag auf eine von drei Freistunden.

Dafür erfüllt Erik Einar Larsen, der etwas andere Organist, während der Andachten, Abendmahle und Messen nicht selten auch den einen oder anderen Musik-Wunsch. Keine Frage, der weltoffene Gefängnis-Organist hat längst seine in sich geschlossene Fan-Gemeinde.

Bei all der positiven Resonanz, bei all der Dankbarkeit, dass er ein guter Zuhörer ist und auch einmal Trost spenden kann, bekommt der Musiker auch die Schattenseiten des Knastlebens hautnah mit: Verzweifelte Gefangene, die ihre neugeborenen Kinder nicht sehen dürfen, denen der Besuch der Beerdigung eines engen Familienangehörigen verwehrt wird oder Gefangene, die keinen Ausweg mehr sehen und sich sogar in ihrer Zelle das Leben nehmen.

Wie nah lässt Erik Einar Larsen das, was er in der JVA sieht, hört und erlebt überhaupt an sich heran. Der Organist gibt offen zu: „Sehr stark! Und ich darf ja wegen der Schweigepflicht auch nicht mit anderen darüber reden, was mir wiederum auch gut tun würde.“

Hochzeit in der Gefängniskapelle

Zum Glück überwiegen die positiven Eindrücke und Erlebnisse, die er mit nach Hause nimmt. Und so lag es für ihn nahe, 2015 sogar seine Hochzeit mit Ehefrau Silvia in der Gefängniskapelle der JVA Simonshöfchen, mit vielen Gefangenen als Trau-Zeugen, zu feiern.

Auch dieses Jahr Weihnachten entsteht sein Programm spontan aus dem Bauch heraus. „Während der Gottesdienste spiele ich die übliche Weihnachtsmusik, zum Ausgang dann aber auch moderne Arrangements der Pop-Weihnachtslieder“, verspricht er. Und als kleines Geschenk wird er auch diesmal einige Musikwünsche von Gefangenen erfüllen.

Privat fällt dagegen Weihnachten für seine Frau Silvia und ihn in diesem Jahr quasi aus. Erik Einar Larsen schmunzelnd: „Bei insgesamt sieben Gottesdiensten von Heiligabend bis 2. Feiertag brauche ich das nicht. Weihnachtsbaum oder Krippe stehen bei uns als Katzenbesitzer ohnehin nicht hoch im Kurs – außer bei den Katzen.“

Erik Einar Larsen an der Orgel der St. Pius Kirche in Barmen – © Paul Coon

Auch wenn das Orgelspielen im Gefängnis seine Berufung ist, greift er nicht nur  hinter schwedischen Gardinen in die Tasten: Er spielt bei Taufen, Hochzeiten, bei normalen Messen, Gottesdiensten und auch bei Trauerfeiern. „Ich habe in diesem Jahr bei rund 200 Beerdigungen Orgel gespielt. Das ist eine Arbeit, die mir wichtig ist und die mir viel Freude macht. Und die mir auch  immer wieder zeigt, wie wertvoll das Leben ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das mit 71 Jahren noch so genießen kann.“

Als Musiker geht man nicht so einfach in Rente. „Ich arbeite momentan mehr als in den Jahren vor meinem Ruhestand. Aber alles nur Dinge, die mir Spaß machen. Andere Anfragen lehne ich ab.“

Die Musik spielt in seinem Leben nach wie vor eine Hauptrolle, egal ob es das Schlagzeug, die Orgel oder das Piano ist. Und selbst er kompletteste Musiker lernt niemals aus. So übt sich Erik Einar Larsen seit einiger Zeit auch noch an der Posaune. Ob zur Freude seiner Nachbarn, ist nicht bekannt.

Text: Peter Pionke

 

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