23. Dezember 2024Peter Pionke
Familiäre Weihnachtstimmung in der Demenz-WG
Das Wohnzimmer, der Meeting Point der unteren Wohngemeinschaft, ist weihnachtlich geschmückt. Rund um den rustikalen Holztisch sitzen sehr betagte Bewohner, die zum Teil nur noch bedingt ansprechbar sind. Einige von ihnen sitzen im Rollstuhl. Ein paar Angehörige und mehrere Pflegekräfte, wie Jennifer Appelmann und Anja Vorberg, vervollständigen den Kreis. Sie sind quasi die Animateurinnen und Vorsängerinnen. Alle Bewohner sind interessiert bei der Sache und machen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit.
Bewohner und Pflegekräfte – eine große Familie
Das ganze mutet an, wie eine Weihnachtsfeier im Familienkreis. Und mit dieser Einschätzung liegt man gar nicht falsch. „Wir sind hier praktisch eine große Familie. Auch für uns Pflegekräfte ist das keine normale Arbeitsstelle, sondern wir haben immer wieder das Gefühl, nach Hause zu kommen“, erklärt Teamleiterin Jennifer Appelmann. Die gelernte Arzthelferin entschied sich ganz bewusst für den Job in der Einrichtung von Pflege Wessel. Und das nicht nur, weil sie hier aufgrund der Arbeitszeiten als mehrfache Mutter Beruf und Familie besser unter einen Hut bringen kann.
Anja Vorberg ergänzt: „Im Gegensatz zu normalen Pflegeheimen gibt es bei uns nur 24 Bewohner, die wir betreuen und das auf zwei Wohngemeinschaften verteilt. Wir können uns für jeden einzelnen viel mehr Zeit nehmen, auch einmal einen Kaffee mit ihnen trinken, mit ihnen frühstücken oder zu Mittag essen und uns ihre Sorgen anhören. Außerdem haben wir die Möglichkeit, jeden individuell zu behandeln. Wer es beispielsweise gewohnt ist, morgens länger zu schlafen, der kann das auch hier tun.“
Jeder Bewohner hat sein Zimmer als Rückzugsort, dazu kommen Gemeinschaftsräume wie Küche und Wohnzimmer mit großem Fernseher und Musikanlage. Ein Aufenthaltsraum, der, was die Einrichtung angeht, dem vermutlich eher konservativen Geschmack der meisten Bewohner voll entspricht.
Keinerlei Berührungsängste
Einige der an Demenz erkrankten Patienten haben keine Angehörigen mehr. Für sind die 17 Pflegekräfte (13 Frauen und 4 Männer) so etwas wie Familienersatz. „Von uns Betreuerinnen hat niemand Berührungsängste. Wer in den Arm genommen werden will, den nehmen wir in den Arm. Manche bitten vor dem Zubettgehen um ein Küsschen auf die Wange. Auch das ist für uns kein Problem“, stellt Teamleiterin Jennifer Appelmann die emotionale Nähe zu den Bewohnern plakativ unter Beweis.
So, als wenn sie diese Aussage der engagierten Teamleiterin bestätigen wolle, ruft eine alte Dame im Rollstuhl während eines Weihnachtslieds plötzlich mehrmals „Hilfe“. Jennifer Appelmann ergreift sofort die Initiative. Sie drückt ihren Kopf vorsichtig an den Kopf der Frau mit den schneeweißen und schiebt sie, während sie beruhigend auf sie einredet, minutenlang im Rollstuhl durch den langen Gang. „Das ist eine Palliativ-Patientin. Ich weiß genau, wie sie reagiert und was ich tun muss, um sie zu beruhigen“, erklärt die Pflegerin.
Ein Lebensabend in Würde
Vier Palliativ-Patienten wohnen im Moment in den beiden WG’s. Aber auch für alle anderen Bewohner ist die Einrichtung die letzte Station vor dem Tod. Aber vorher verbringen sie hier einen Lebensabend in Würde.
Doch wie nah lassen die Pflegekräfte die Schicksale der Patienten an sich heran? „Viel zu nah! Deshalb sind auch beim Personal schon viele Tränen geflossen. So ist das eben in einer großen Familie. Wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner schwer erkrankt ist, rufen sogar die Kolleginnen und Kollegen an, die frei haben und erkundigen sich dem Gesundheitszustand. Und wenn jemand gestorben ist, herrscht tagelang gedrückte Stimmung“, berichtet Jennifer Appelmann.
Bei allem Spaß an ihrem Job, führt er Jennifer Appelmann, Anja Vorberg und ihren Kolleginnen auch immer wieder vor Augen, dass alles vergänglich und das Leben endlich ist. Doch dafür hat Jennifer Appelmann auch schon augenzwinkernd eine Lösung parat: „Wenn wir das gewisse Alter erreicht haben, ziehen wir alle gemeinsam hier in die WG!“
Doch das liegt sicher noch in weiter Ferne! Zurück in der Gegenwart wird mehr als deutlich, dass in den beiden Demenz-WG’s die meiste Zeit eine gelöste, fast fröhliche Atmosphäre herrscht. So wie bei der Weihnachtsfeier, wo es am Ende für jeden Bewohner und jeden Gast auch ein Gläschen Glühwein gab. Und auf die 24 Bewohner wartet noch ein weiteres Weihnachts-Highlight: Die große Bescherung am 1. Feiertag.
Text Peter Pionke
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