4. Januar 2025Peter Pionke
Benn & Lasker-Schüler: Wildeste Liaison der Literaturgeschichte
Sie ist 43, er 26. Das Unerhörte ihrer Liebe gibt Anlass zu Klatsch und Tratsch, aber auch Lesestoff. Kaum sind die beiden zusammen, bedichten sie sich gegenseitig – öffentlich. Im damaligen Literaturbetrieb ist sie der Star. Else Lasker-Schüler hat sich gerade zum Prinz Jussuf von Theben erklärt, trägt die Haare superkurz und orientalisch geschnittene Hosen. Für das wilhelminische Berlin ist diese jüdische Frau sensationell. Und für Gottfried Benn den protestantischen Pfarrersohn, Mediziner und aufgehender Stern am Dichterhimmel, irgendwie auch.
Ihre Beziehungs-Lyrik erscheint in expressionistischen Zeitschriften wie „Die Aktion“ und „Schaubühne“, über Monate, live zum Mitlesen. Sie gibt ihm einen Nickname (Spitznamen) aus dem „Nibelungenlied“: „Der hehre König Giselheer / Stieß mit seinem Lanzenspeer / Mitten in mein Herz“. – „Ich treibe Tierliebe“, dichtet Benn zurück: „In der ersten Nacht ist alles entschieden. Man fasst mit den Zähnen, wonach man sich sehnt. Hyänen, Tiger, Geier sind mein Wappen.“
Geliebter ist 17 Jahre jünger
ELS antwortet „Giselheer dem Tiger“ in der „Schaubühne“. Sie erklärt ihren 17 Jahre jüngeren Geliebten zum Dschungelkönig („Deine Tigeraugen sind süß“) und sich selbst zur zärtlichen Tigermutter: „Ich trage dich immer herum / Zwischen meinen Zähnen“. Da macht sich der Tiger doch gern zum poetischen Affen: „Ich bin Affen-Adam. Rosen blühn in mein Haar / Meine Vorderflossen sind schon lang und haarig. / Baumast-lüstern. An den starken Daumen / kann man tagelang herunterhängen.“
Selten ist Sex metaphorisch witziger und expressionistischer überhöht worden als in der poetischen Liaison von Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, die real vielleicht kein halbes Jahr dauerte. Die Beziehung lässt sich nicht exakt datieren und belegen. Aber Benns Metapher für Lasker-Schülers Art zu lieben, wird bald düster, in seinem Gedicht „Drohungen“ schreibt er:
„Du, dass wir nicht an einem Ufer landen! / Du machst mir Liebe: blutigelhaft: Ich will von dir.“ Die Blutegel-Metapher passt zu Benn, der als frisch promovierter Militärarzt gerade die dunkle Gedichtsammlung „Morgue“ (benannt nach dem Pariser Leichenschauhaus) veröffentlicht hat. Das krasse Gedicht „Kleine Aster“ ist Teil der Lyriksammlung von Else Lasker-Schüler.
Benn heiratet Edith Osterloh
Der junge Benn steht auf reifere Frauen. Nach seiner Liaison mit ELS heiratet er 1914 die acht Jahre ältere Edith Osterloh. Als Edith 1915 ein Kind von Benn bekommt, zeichnet Lasker-Schüler alias Jussuf eine böse Postkarte. Darauf will Jussuf mit Giselheers „Mägdelein“ spielen, und in der Hand hält er einen Curettage-Löffel, der „damals für Abtreibungen benutzt wurde“, so Filmregisseurin Helma Sanders-Brahms in ihrem 1997 erschienenen Buch über Gottfried Benn und Else Lasker Schüler.
Sie liest das als Hinweis auf ein abgetriebenes Kind und spekuliert, ob Else von Benn schwanger gewesen sein könnte. Auch weil Benn in seinem Gedicht „Curretage“ einen Schwangerschaftsabbruch beschrieben habe: „Nun liegt sie in derselben Pose / wie sie empfing / die Schenkel lose / im Eisenring“.
Uraufführung als „Geburtstagsgeschenk“
Später trennen sich Giselheers und Jussufs Wege. Gottfried Benn dient sich, zumindest anfangs, den Nazis an. Else Lasker-Schüler emigriert am 19.04.1933 nach Zürich und 1939 nach Jerusalem, wo sie im Januar 1945 stirbt. 1952, genau 40 Jahre nach ihrer Affäre, erinnert Benn, der Meister der melancholischen Gedichte, öffentlich an seine poetische Lehrmeisterin und nennt sie „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“.
Wuppertal 2025: Am 11. Februar, dem Geburtstag der 1869 in Elberfeld geborenen Elisabeth Schüler, werden die vom US-Amerikaner Paul Terse vertonten Liebesgedichte uraufgeführt.
Termin:
Geburtstagskonzert Else Lasker-Schüler
Uraufführung der von Paul Terse vertonten Liebesgedichte
Es singen Dorothea Jakob (Sopran) und Fabian Hemmelmann (Bariton)
Rezitation: Julia Wolff und Bernd Kuschmann
Paul Terse – Klavier
Hajo Jahn – Konzeption und Moderation
Dienstag – 11.02.2025 – 19:30 Uhr
Citykirche – Kirchplatz 2 – 42103 Wuppertal
Eintritt € 15,0 0 – ermäßigt € 10,00. Vorverkauf über http://www.wuppertal-live.de
Spannender Krimi über ein verschollenes Meisterwerk
So spannend kann Lektüre sein! Der Hamburger Historiker und Autor Uwe Fleckner liest am 30. Januar im Von der Heydt-Museum aus seinem Roman „Im Schatten der blauen Pferde“.
Es ist wie ein Krimi, die spannende Story einer detektivischen Jagd nach dem verschollenen meisterhaften Franz Marc-Gemälde „Der Turm der blauen Pferde“. Von dem Kunstwerk existiert nur eine Miniatur: eine kostbare Original-Postkarte als Neujahrsgruß 1913 an Else Lasker-Schüler.
Franz Marc und die Dichterin aus dem Wupper-Tal waren befreundet. Ihre gegenseitige gemalte Korrespondenz ist einzigartig. Kunsthistoriker Uwe Fleckner spekuliert in seinem Buch, wie sich die Geschichte abgespielt haben und wo das Gemälde heute sein könnte.
Angeblich soll es sich „Reichsmarschall“ Hermann Göring angeeignet haben. Der Ober-Nazi hatte ein Faible für Kunst, egal was die Partei-Ideologie dazu vorgab. Ursprünglich sollte das expressionistische Pferde-Bild 1937 in der Schand-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München präsentiert werden. Aber das verhinderten die Offizierskameraden des 1916 bei Verdun gefallenen „Kriegshelden“ Franz Marc, zumal der kein Jude war.
Passend zu dieser Veranstaltung der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft bietet das Von der Heydt-Museum nur an diesem Donnerstag (30.01.) eine Führung zum Thema „Klassiker der Sammlung: Der Blaue Reiter“ an.
Termin:
Autoren-Lesung
„Im Schatten der blauen Pferde“
Uwe Fleckner
Donnerstag – 30.01.2025 – 18:00 Uhr
16:45 Uhr: Führung zum Thema „Klassiker der Sammlung – Gebühr € 5,00.
Der Eintritt zur anschließenden Lesung ist frei.
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