27. Januar 2025

Theater-Hit „MeToo-Monolog“: Im Zweifel für den Angeklagten?

Kein neuzeitliches Theaterstück hat mutmaßlich für so viel Furore gesorgt, wie „Prima Facie“. Der MeToo-Monolog der australischen Autorin Suzie Miller wurde 2019 in Sydney (Australien) uraufgeführt, geht seither rund um die Welt und wurde ein wahrer Theaterhit. Jetzt hat es auch das Wuppertaler Schauspiel erreicht. Bei der Premiere im Theater im Engelsgarten dankte das gespannte Publikum mit langanhaltendem Applaus.

Zeigte als „Tessa“ eine großartige Leistung auf der Theaterbühne: Die Wuppertaler Schauspielerin Julia Wolff – © Anna Schwartz

2020 wurde „Prima Facie“ mit dem „Olivier Award“, der höchsten Auszeichnung im britischen Theater, ausgezeichnet. Seit Frühjahr 2023 ist es am New Yorker Broadway zu sehen. Im deutschsprachigen Raum wird der „Monologabend“ in diesen Spielzeiten an insgesamt fünfzehn verschiedenen Häusern gezeigt. Im Frühjahr 2022 spielte Jodie Comer die Rolle von Tessa am „National Theatre“ in London. Mehr als 300.000 Zuschauer sahen das Stück im Kino durch die Ausstrahlung des National Theatre live.

Dunkle Erfahrungen und „Anscheinsbeweise“

„Prima Facie“, ist Latein und heißt „Auf den ersten Blick“ oder „Dem Anschein nach“. Der juristischer Terminus für „Anscheinsbeweis“, hat weltweit eine überragende Bedeutung in den Rechtssystemen, wo im Zweifel für den Angeklagten entschieden wird („In dubio pro reo“).

Suzie Miller traf mit ihrem Stück einen Nerv. Sie beschreibt eine dunkle Erfahrung, die viele Frauen machen: Ihre Protagonistin wird Opfer einer Vergewaltigung – und gerät in die Mühlen des Justizsystems, das bislang eher täterfreundlich ausgerichtet war (oder ist?). Das Thema hat ganz offensichtlich eine riesengroße Bedeutung mit Omnipräsenz, denn „im Zweifel für den Angeklagten“ gehört zu den Grundfesten unserer Demokratie und zeigt Grenzen des Systems auf.

Zum Inhalt: Für Tessa Ensler, die sich vom Arbeiterkind zur gefeierten, knallharten Strafverteidigerin hochgeboxt hat, steht die juristische Wahrheit über allem. Tessa ist auf ihrem Höhenflug. Gefühle und Moral spielen im Gerichtssaal keine Rolle. Sie verteidigt vor allem Männer, die wegen sexueller Übergriffe vor Gericht stehen. „Ich habe seit Wochen keinen Fall verloren“ sagt sie nicht ohne erkennbaren Stolz. Immer geht ihr dabei um die juristische Wahrheit und die „Unschuldsvermutung“.

Julia Wolff als verzweifelte Frau, die ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt machen musste – © Anna Schwartz

Übergriff nach feuchtfröhlichem Abend

Davon ist Tessa bis zu dem Tag überzeugt, an dem sie selbst Opfer eines sexuellen Missbrauchs wird. Ihrer Wahrnehmung nach wird ein Kollege, mit dem sie ein enges Verhältnis pflegt, nach einem feuchtfröhlichen Abend sexuell übergriffig. Hat sie sich gewehrt, hat sie deutlich „Nein“ gesagt? War es eine Vergewaltigung? Sie zeigt den Kollegen an.

Danach findet sie sich in der Rolle der Klägerin plötzlich selbst im Zeugenstand wieder. Das Tatgeschehen ist nicht eindeutig, an Widersprüchen fehlt es nicht. Jetzt muss sie erkennen, dass sie als Verteidigerin in einem juristischen System agierte, das im Falle sexualisierter Gewalt gegen Frauen schlichtweg nicht funktioniert.

Tessa durchlebt ein traumatisierendes Kreuzverhör, in dem unklar ist, wer Opfer oder Täter ist. Ihr Empowerment (Selbst-Befähigung) zur Verteidigung wird herausgefordert. Sie durchlebt in ihrem eigenen Fall die Anwälte, die mit dem Anscheinsbeweis arbeiten, wenn es wie hier nur zwei Zeugen gibt.

Da sind Anwälte, die das Loophole (Schlupfloch im Gesetz) nutzen um ein ohnehin traumatisiertes Vergewaltigungsopfer im Moment der Retraumatisierung so gründlich zu verunsichern, dass es sich in den Widersprüchen der eigenen Erinnerung verstrickt. Das Stück erlaubt tiefe Einblicke in die Gefühlswelt einer so verletzten Frau.

Julia Wolff, eine begnadete, überzeugende Charakter-Darstellerin – © Anna Schwartz

Der brillante Abend von Julia Wolff

Tessas preisgekrönter Monolog wird auf der Wuppertaler Bühne von Julia Wolff in 110 Minuten brillant dargestellt. Es ist ihr Abend, den sie von Anfang bis Ende mit ihrer Ausdruckskunst in Tonlage und Betonung ganz alleine gestaltet.

Unglaublich, wie es dieser herausragenden Schauspielerin gelingt, in einem fast zwei Stunden langen Monolog die Spannung persönlich und überzeugend zu halten. Nur ein einziger kleiner Versprecher, an einer sehr emotionalen Szene, war zu vernehmen. Chapeau!

Die New York Times betonte in ihrer wohlwollenden Rezension zur gleichnamigen Aufführung am Broadway minimale Requisiten, leuchtendes, fluoreszierendes Licht und viel leeren Raum für ihren Star. Hier haben sich Johanna Landsberg (Inszenierung) und Laura Hutta (Regieassistenz) sowie Johanna Rehm (Bühne und Kostüme) vielleicht inspirierten lassen, als sie im Theater am Engelsgarten die Wuppertaler Aufführung zusammen mit Ilja Betser (Inspizient) eindrucksvoll gestalteten. Für die gelungene Dramaturgie zeichnet am Engelsgarten Marie-Philine Puppert verantwortlich.

Julia Wolff stand zwei Stunden allein auf der Bühne und begeisterte das Publikum – © Anna Schwartz

„Irgendwas muss sich ändern“

Suzie Miller zeigt mit ihrem preisgekrönten Stück, wie schwer es ist, gegen patriarchale Machtgefüge anzukommen und den Wandel einer Frau, die immer weiterkämpft. „Irgendwas muss sich ändern“, lautet das dramatische Schlussplädoyer von Julia Wolff, die das Publikum jetzt direkt anspricht und zum Ausdruck bringt, dass sexualisierte Gewalt jede dritte Frau betreffe.

Damit wurde bei vielen Zuschauern eine Diskussion zur Frage, was und wie man „etwas ändern“ könne, in Gang gesetzt. Einigkeit darüber besteht weitgehend darin, das sexualisierte Gewalt schwer zu ertragen sei und bestraft werden muss. Doch wie die juristische Änderung aussehen kann, wenn es wie in dem Schauspiel dargestellt, nur die zwei Beteiligten und keine weiteren Zeugen gibt, ist auch mit „Prima Facie“ nicht schlüssig beantwortet?

Es ist ja auch nicht so selten, dass Männer zu Unrecht beschuldigt werden. Man denke nur an den Comedian Luke Mockridge und an den TV-Meteorologen Jörg Kachelmann. Oder auch an den aktuellen Fall des Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen). Ihre Karrieren wurden durch Falschaussagen schwer beschädigt oder sogar zerstört. Die Diskussion ist einmal mehr entfacht und wird wohl ergebnisoffen weitergehen…

Text: Siegfried Jähne

 

Nächste Vorstellungen:

02.02. – 06.02. – 22.02. –  01.03. – 21.03. – 04.04. – 03.05.

Link zu Webseite der Wuppertaler Bühnen:

http://www.wuppertaler-buehnen.de

 

 

 

 

 

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