12. Februar 2025

Anja Liebert: Wünsche mir Robert Habeck als Regierungschef

Die Wuppertalerin Anja Liebert (55) sitzt seit 2021 für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Die gebürtige Dortmunderin zog über die Landesliste ins Parlament in der Bundhauptstadt Berlin ein. Nach dem Bruch der Ampel kämpft sie bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 im Wahlkreis 101 (Wuppertal I) erneut um den Einzug in den Reichstag.

Möchte dem Deutschen Bundestag auch in der nächsten Legislaturperiode angehören: Die Wuppertaler Kandidatin Anja Liebert (Bündnis 90/Die Grünen) – © Wolf Sondermann

Reichlich politische Erfahrung hatte Anja Liebert zuvor schon auf kommunaler Ebene gesammelt. Von 1999 – bis 2001 und von 2004 – bis 2020 war sie Stadtverordnete im Rat der Stadt Wuppertaler. Ihre Brötchen verdiente sie als Marketingmanagerin, Pressereferentin in der Privatwirtschaft, als Coach und als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Wuppertal.

Bei ihrer  ersten Legislaturperiode als MdB wurde ihr schnell klar, dass in Berlin politisch ein weitaus rauerer Wind herrscht, als auf den Höhen Wuppertals und hier im Stadtparlament. Sie war in Berlin Teil der Fraktion der Grünen, Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen sowie Mitglied im Ausschuss für Tourismus.

Anja Liebert ist Kleingärtnerin aus Leidenschaft und setzt zuhause in Wuppertal auf selbst angebaute, ökologische Lebensmittel. Und fährt gern mit der Eisenbahn – was bei einer Grünen-Politikerin sicherlich nicht sonderlich überrascht.

Machen sich gegenseitig füreinander stark: Anja Liebert mit Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck – © WKB

Im Rahmen unserer Interview-Reihe, in der wir alle Wuppertaler Bundestagskandidaten vorstellen, haben wir ein ausführliches Gespräch mit Anja Liebert geführt.

DS: Kurz, aber heftig – hätten Sie sich lieber einen längeren Wahlkampf als nur rund 50 Tage gewünscht?

Anja Liebert: „Das Leben und die Politik sind kein Wunschkonzert. Aber jetzt so kurz vor der Zielgeraden frage ich mich schon, was noch alles passiert wäre, wenn der Wahlkampf noch länger gewesen wäre. Alle Parteien hatten genügend Gelegenheit, ihre Positionen darzustellen.“

DS: Wie groß ist Ihre Sorge, dass es in der Schlussphase ein noch härterer, sogar schmutziger Wahlkampf wird?

Anja Liebert: „Mein Anspruch im Wahlkampf ist es, im Gespräch mit den Menschen zu sein und Lösungen aufzuzeigen. Ich bin davon überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger kein Interesse an Schlammschlachten haben, sondern wünschen, dass ihre Themen ernsthaft besprochen werden und gemeinsam Lösungen für die Probleme der Zukunft gefunden werden.“

Bundestagskandidatin Anja Liebert beim Wahlkampfauftakt 2025 in Wuppertal – © WKB

DS: Hands aufs Herz: Trauen Sie Bundeskanzler Scholz noch eine große Aufholjagd zu?

Anja Liebert: „Ich traue Robert Habeck von den Grünen eine große Aufholjagd zu, immerhin ist er seit Wochen die Nummer zwei in Umfragen, wenn es um den Kanzler geht.“

DS: Wie wollen Sie der Politikmüdigkeit und den Verlust der Glaubwürdigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung begegnen?

Anja Liebert: „Eine Politikmüdigkeit erlebe ich aktuell nicht. Ganz im Gegenteil, die Menschen sind sehr nah an den politischen Themen und diskutieren. Beim Thema Glaubwürdigkeit geht es darum, dass wir Politikerinnen und Politiker vor Ort sichtbar und ansprechbar sind. Das sehe ich als eine sehr wichtige Aufgabe. Auf der einen Seite sind die Medien geflutet von Talkshows, Reportagen, Nachrichten mit und über Politik – auf der anderen Seite sind die Informationen oft sehr bruchstückhaft, verkürzt, zugespitzt. Wir bewegen uns zunehmend in unseren eigenen Blasen auf Social Media und bekommen die Sicht von anderen kaum noch mit. Da hilft echte Begegnung.“

Anja Liebert (2.v.l.) mit Geschlechtsgenossinnen im Rahmen der Aktion „Wuppertal ist weiblich“ – © WKB

DS: AfD und BSW sind auf den Sozial Media-Kanälen sehr präsent. YouTube beispielsweise wird von diesen Parteien regelrecht dominiert: Dort wird hemmungslos indoktriniert, werden Statements aus Talkshows und Bundestagssitzungen sinnverfälscht so zusammengeschnitten, dass ein völlig anderer Eindruck entsteht. Warum haben die etablierten Parteien der Mitte diesen Trend verschlafen oder einfach das Feld, auf dem gerade viele junge Menschen unterwegs sind, kampflos den Extremen überlassen?

Anja Liebert: „Wir Grünen haben sicherlich nicht die Reichweite der Rechtsextremen und Populisten, stehen aber mit unserer Social Media-Reichweite noch ganz passabel da. Auch ich bin auf TikTok, Instagram, Facebook, LinkedIn etc. präsent. Die Herausforderung ist: Wie schaffe ich es Themen kurz, spannend und auf den Punkt zu präsentieren, damit es von jungen Menschen auch wahrgenommen wird? Die Erwartungen an seriöse Politik sind da auch höher als bei den Radikalen. Ist es zu lustig, dann heißt es, sie machen keine ernsthaften Angebote; ist es zu langweilig, dann heißt es, sie verstehen die Probleme der Jugend überhaupt nicht. Populistische Themen eignen sich auch besonders gut für Social Media: Krass, kurz und empörend – da guckt jeder gerne hin.“

Die Wuppertaler Politikerin Anja Liebert bei einer Mahnwache für die von Putin überfallene Ukraine – © WKB

DS: Es wird häufig bemängelt, dass viele der heutigen Politikerinnen und Politiker keinen „normalen“ Beruf mehr erlernt haben, sondern gleich nach Schule und Uni eine Politikerkarriere eingeschlagen haben und sich so gar nicht mehr in die Lebensverhältnisse eines Normalbürger hinein fühlen können. Wie stehen Sie dazu?

Anja Liebert: „Stimmt das überhaupt oder ist das das typische „Die da oben“? Wenn wir junge Menschen aktiv in die Politik einbeziehen möchten, können wir nicht erwarten, dass sie jahrzehntelange Berufserfahrung haben. Auf der anderen Seite gibt es immer noch keinen gleichberechtigten Zugang zu den politischen Top-Positionen: Außer bei den GRÜNEN haben die anderen Parteien immer noch keinen bahnbrechenden Frauenanteil, Macht wird ungern abgegeben. Wir könnten auch über die Zahl an Juristinnen und Juristen reden oder wie wenige Menschen mit klassischer Berufsausbildung im Parlament sitzen.

Ich finde, dass die Mischung es macht. Und „Berufserfahrung“ bedeutet ja nicht „Politikerfahrung“. Die CDU stellt einen Kanzlerkandidaten auf, der noch nie in einer politischen Position Regierungsverantwortung hatte, noch nicht mal im Gemeinderat oder auf Landesebene. Da habe ich in 20 Jahren Kommunalpolitik mehr Erfahrungen in „Koalitionsverhandlungen“ und durch die Ampel mehr „Regierungserfahrung“. Ich selbst bin ja erst seit 2021 Berufspolitikerin und habe vorher im Stadtrat etc immer ehrenamtlich gearbeitet. Meine Berufserfahrung als Marketingmanagerin, Pressereferentin in der Privatwirtschaft und als Coach und als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Wuppertal haben mir immer den Blick auf die unterschiedlichen Perspektiven gegeben. Es hat sich gegenseitig befruchtet, aber ich habe zwischen Job und Politik immer klare Grenzen gezogen.“

Anja Liebert (2.v.r.) bei der Einweihung des Biolabors Solventum – © WKB

DS: Heutzutage als Politiker unterwegs zu sein, ist ja nicht unbedingt Vergnügungssteuerpflichtig. Man ist Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt wie noch nie. Welchen Anteil haben Ihrer Meinung nach die Parteien an Rändern rechts und links an dieser Entwicklung?

Anja Liebert: „Der Ton ist rauer geworden, das stimmt. Aber besonders erschreckend finde ich, dass Menschen, die sich offen für Politik einsetzen, angegriffen und verletzt werden, ob beim Plakateaufhängen, am Wahlkampfstand oder anderswo. Aber auch Hass und Hetze im Netz haben ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Hier verschwimmen die Grenzen von politischer Auseinandersetzung und nur noch dem Verächtlichmachen des Gegners. Die Verschärfung der Auseinandersetzung durch radikale Kräfte tragen sicherlich dazu bei, aber wir sollten alle gemeinsam etwas verbal abrüsten. Ich benutze zum Beispiel die Schlagworte der politischen Gegner am rechten Rand nicht, um sie nicht salonfähig zu machen.“

DS: Wie sehr überzeugt sind Sie von Kernthemen mit denen Ihre Partei in den Wahlkampf gezogen ist?

Anja Liebert: „Unsere Kernthemen sind sehr nah an den Fragen der Menschen: Unser Slogan „Das Leben bezahlbar machen“ zum Beispiel. Hier sind unsere Lösungen, wie mehr bezahlbarer Wohnraum, ein Mindestlohn von 15 Euro, niedrige Energiekosten, direkt für die Menschen nachvollziehbar. Auch die Themen Natur- und Klimaschutz verbinden die Menschen natürlich direkt mit uns Grünen und sehen uns hier als besonders kompetent. Wir wollen aber auch die Investitionen in unsere Infrastruktur, wie in Schulen, Kitas, Brücken, Schienen, Straßen wieder in den Mittelpunkt stellen. Dafür müssen wir an die Schuldenbremse ran, sonst hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen die Schulden indirekt. Außerdem ist uns Grünen die Verantwortung für Europa wichtig. Nur in einem starken Europa können wir unsere Freiheit in Frieden sichern. Gerade in Zeiten, in denen auf der einen Seite die USA ihre eigenen Interessen gnadenlos in den Mittelpunkt stellt und auf der anderen Seite Putins Russland unberechenbar ist.“

Anja Liebert zeigt „Gewalt und Rassismus die rote Karte“ – © Wolf Sondermann

DS: Klimawandel hin – Klimawandel her! Das von Kanzler Scholz versprochene „Grüne Wirtschaftswunder“ ist nachweislich ausgeblieben. Wie wird sich das vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme in den nächsten Jahren auf die Akzeptanz grüner Politik auswirken?

Anja Liebert: „Beim Klimawandel kann es kein hin oder her geben! Robert Habeck hat ein grünes Wirtschaftswunder vollbracht, indem er in einer schweren Energiekrise die Versorgungssicherheit jederzeit gewährleistet hat und gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren Energien erleichtert und beschleunigt hat.

Und das in einem Ausmaß, das niemand für möglich gehalten hat. So sind wir in Zukunft wesentlich un0abhängiger und im europäischen Verbund stärker geworden. Die großen Unternehmen haben sich längst auf den Weg gemacht und steuern auf klimafreundliche Produktion zu. Die Zukunftsmärkte sind zum einen der Klimasektor, nachhaltige Kreislaufwirtschaft, Energiesysteme, E-Mobilität und Digitalisierung. Wir haben genau für diese Zukunftsbereiche dutzende neue Gesetze gemacht zum Bürokratieabbau, zur Beschleunigung von Genehmigungen sowie milliardenschwere Förderungen. Leider hat mich am Wahlkampfstand noch niemand z.B. nach der Neuregelung im  Baugesetzbuch im §249 (Sonderregelungen für Windenergie an Land) gefragt. Das kann und wird zum Glück auch nach der Wahl auch nicht alles zurückgedreht – die Unternehmen investieren ja bereits.“

Verstehen Sich gut: Anja Liebert und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck – © WKB

DS: Falls Sie wiedergewählt werden: Was dürfen die Wuppertaler Bürger und die Bürger der Bergischen Region von Ihnen in den nächsten – vermutlich – vier Jahren erwarten?

Anja Liebert: „Mit mir bekommen die Bergischen Bürgerinnen und Bürger eine bodenständige und zuverlässige Politikerin, die sich weiter für ihre Heimat einsetzt und in Berlin weiter fleißig an Gesetzen mitarbeitet, die auch für das Bergische Verbesserungen bedeuten. Dazu setze ich mich für passende Fördermöglichkeiten ein, z.B. eine gut ausgestattete Städtebauförderung, Mittel für die Kimaanpassung, den Zusammenhalt in den Quartieren, attraktive Zentren, moderne Mobilität.“

DS: Welche Koalition wünschen Sie sich?

Anja Liebert: „Eine von den Grünen angeführte.“

DS: Was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass die Parteien der Mitte auch 2029 noch die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler stellen können?

Anja Liebert: „Die demokratischen Parteien müssen ihre Unterschiede deutlich machen, aber immer untereinander gesprächsfähig bleiben. Wir müssen Deutschland zukunftsfest machen, d.h. alle Kinder müssen die gleichen Chancen haben auf Bildung und Teilhabe, wir brauchen einen klaren Kompass beim Klimaschutz, die Wirtschaft braucht Sicherheit für ihre Investitionsentscheidungen, das soziale Sicherungssystem muss krisenfest sein.“

DS: Vielen Dank für das offen, informative Gespräch.

Das Interview führte PETER PIONKE

Link zur Webseite Bündnis 90/Die Grünen Wuppertal:

http://www.gruene-kvwuppertal.de

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