17. Februar 2025Peter Pionke
Till Sörensen-Siebel: Menschen nicht gegeneinander ausspielen
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Der junge Politiker möchte in erster Linie die Perspektiven seiner Generation in den Bundestag einbringen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir eine gesicherte Zukunft auf einem gesunden friedlichen Planeten haben und gute Zukunftschancen, die nicht vom Geldbeutel oder dem Bildungsstand der Eltern abhängen. Privatisierung und Ökonomisierung haben in der Bildung genau so wenig zu suchen, wie die Bundeswehr! Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum für Auszubildende und Studierende“, benennt Till Sörensen-Siebel seine politischen Ziele.
Er ist AStA-Vorsitzender und damit Stimme von über 20.000 Studierenden in Wuppertal und kenne er deren Sorgen, Nöte und Existenzängste. So müssten 80 Prozent der Vollzeitstudierenden der Bergischen Universität nebenbei arbeiten, um über die Runden zu kommen. Sie würden in vor sich hingammelnden Wohnheimen und überteuerten WGs wohnen.
Seine steilen Thesen: „Es ist nicht erwünscht, dass progressiv denkende Menschen die neoliberalen Denkmuster des akademischen Betriebs angreifen. Es ist nicht erwünscht, dass Bildung gelebt wird. Formung für den Dienst im Kapitalismus ist genug.“
Im Rahmen unserer Kandidaten-Vorstellung für die Bundestagswahl am 23. Februar haben wir uns mit Till Sörensen-Siebel unterhalten.
DS: Kurz, aber heftig – hätten Sie sich lieber einen längeren Wahlkampf als nur rund 50 Tage gewünscht?
Till Sörensen-Siebel: „Ja ich hätte mir einen längeren Wahlkampf gewünscht. Die Informationsveranstaltungen an Schulen bedürfen beispielsweise einer gewissen Vorbereitungszeit seitens der Schülerinnen und Schüler und bieten die Gelegenheit, mit den Menschen, die über ihre Zukunft mitentscheiden, Fragen zu stellen. Außerdem gehen wir als Linke an die Haustüren der Menschen, um zu hören, was sie bedrückt. Wir waren in diesem Wahlkampf schon an weit über 100.000 Haustüren; ich hätte aber gerne noch mehr Zeit gehabt um mit den Menschen zu sprechen.“
DS: Wie groß ist Ihre Sorge, dass es in der Schlussphase ein noch härterer, sogar schmutziger Wahlkampf wird?
Till Sörensen-Siebel: „Ich fürchte mich nicht vor harten Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, auch nicht, wenn ich rhetorisch hart angegangen werde. Ich bin davon überzeugt, das bessere Argument zu haben und dass wird man mir mit „schmutziger“ Rhetorik nicht streitig machen können.“
DS: Hands aufs Herz: Trauen Sie Bundeskanzler Scholz noch eine große Aufholjagd zu?
Till Sörensen-Siebel: „Nein.
DS: Wie wollen Sie der Politik-Müdigkeit und den Verlust der Glaubwürdigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung begegnen?
Till Sörensen-Siebel: „Ich sehe diese Müdigkeit nicht. Die Linke hat allein in diesem Jahr über 23.000 Mitglieder dazugewonnen. Das sind Menschen, die sich für eine sozial gerechte Welt einsetzen und kämpfen wollen. Ich kämpfe mit ihnen.“
DS: AfD und BSW sind auf den Sozial Media-Kanälen sehr präsent. YouTube beispielsweise wird von diesen Parteien regelrecht dominiert: Dort wird hemmungslos indoktriniert, werden Statements aus Talkshows und Bundestagssitzungen sinnverfälscht so zusammengeschnitten, dass ein völlig anderer Eindruck entsteht. Warum haben die etablierten Parteien der Mitte diesen Trend verschlafen oder einfach das Feld, auf dem gerade viele junge Menschen unterwegs sind, kampflos den Extremen überlassen?
Till Sörensen-Siebel: „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir als Linke das aktuell noch tun. Sei es Heidi Reichinnek oder Jan van Aken, die aufklärerisch und erfolgreich auch die sozialen Medien bespielen. Wir sind aktiv und sichtbar, wie auch die Aufruf-Zahlen verdeutlichen.“
DS: Es wird häufig bemängelt, dass viele der heutigen Politikerinnen und Politiker keinen „normalen“ Beruf mehr erlernt haben, sondern gleich nach Schule und Uni eine Politikerkarriere eingeschlagen haben und sich so gar nicht mehr in die Lebensverhältnisse eines Normalbürger hinein fühlen können. Wie stehen Sie dazu?
Till Sörensen-Siebel: „Wir als Linke wollen aktiv Menschen mit genau diesen „normalen“ Biographien in den Bundestag schicken. Die NRW-Landesliste wird z.B. von einer Sozialarbeiterin und einem gelernten Krankenpfleger angeführt. Ich persönlich bin Student und angehender Lehrer, würde aber auch nicht sagen, dass der Lehrerberuf eine abgehobene Berufslaufbahn darstellt.“
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DS: Heutzutage als Politiker unterwegs zu sein, ist ja nicht unbedingt Vergnügungssteuerpflichtig. Man ist Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt wie noch nie. Welchen Anteil haben Ihrer Meinung nach die Parteien an Rändern rechts und links an dieser Entwicklung?
Till Sörensen-Siebel: „Ich weiß nicht, ob sie Die Linke als „linken Rand“ bezeichnen würden, kann aber versichern, dass wir diese Anfeindungen nicht aktiv betreiben oder fördern. Von rechts habe auch ich schon Bedrohungen erlebt, und wenn man bedenkt, dass der Mörder von Walter Lübke AfD-Wahlhelfer war, kann man wohl nicht leugnen, dass diese rechtsextreme Partei Gewalt fördert.“
DS: Wie sehr überzeugt sind Sie von Kernthemen mit denen Ihre Partei in den Wahlkampf gezogen ist?
Till Sörensen-Siebel: “Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir mit einem bundesweiten Mietendeckel, der Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und der Steuererleichterung für Einkommen bis 6.500 € im Monat die Probleme der Menschen adressieren und zeigen, dass wir für die überwiegende Mehrheit der Menschen hierzulande kämpfen.“
DS: Wie sehr begrüßen oder bedauern Sie es, dass die illegale Migration doch noch zum Hauptwahlkampfthema geworden ist?
Till Sörensen-Siebel: „Was bitte ist „illegale Migration“? Ich finde dieses Framing unsäglich. CDU, FDP, Grüne und SPD sehen sich offenbar gezwungen, den rechtsextremen von der AfD nachzulaufen und schmeißen damit 14 Mio. Menschen vor den Bus, die in diesem rassistisch aufgeheizten Klima leben müssen.“
DS: Klimawandel hin – Klimawandel her! Das von Kanzler Scholz versprochene „Grüne Wirtschaftswunder“ ist nachweislich ausgeblieben. Wie wird sich das vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme in den nächsten Jahren auf die Akzeptanz grüner Politik auswirken?
Till Sörensen-Siebel: „Sehr negativ, da die Ampel-Regierung nicht begriffen hat, dass man, um eine klimagerechte Wirtschaftswende hinzubekommen nicht kleckern darf, sondern klotzen muss. Zukunftsinvestitionen zu verschlafen kommt einer Arbeitsverweigerung der Ampel gleich.“
DS: Falls Sie gewählt werden: Was dürfen die Wuppertaler Bürger und die Bürger der Bergischen Region von Ihnen in den nächsten – vermutlich – vier Jahren erwarten?
Till Sörensen-Siebel: „Sie dürfen erwarten, dass ich für meine Heimat brenne, mich dafür einsetzen werde, dass mehr Geld in Bildung und den ÖPNV investiert wird und die Kommunen entschuldet werden, da hier die Demokratie zum Anfassen stattfindet.“
DS: Welche Koalition wünschen Sie sich?
Till Sörensen-Siebel: „Angesichts der aktuellen Umfragen graut es mir vor den möglichen Regierungskoalitionen. Ich halte nach Merz´ Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag auch das nicht mehr für ausgeschlossen, dass sich die CDU mit Unterstützung der AfD ins Kanzleramt bringen lässt. Aber auch SPD und Grüne werden sich unter Merz nicht für eine solidarische und klimagerechte Politik einsetzen. Die einzige Regierung, die gerade wirklich etwas zum Guten verändern könnte, wäre rot-rot-grün, aber davon sind wir meilenweit entfernt.“
DS: Was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass die Parteien der Mitte auch 2029 noch die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler stellen können?
Till Sörensen-Siebel: „Die Parteien müssten aufhören, die Menschen im Lande gegeneinander auszuspielen und lediglich als verlängerter Arm wirtschaftsnaher Lobbyisten zu handeln. Parteien müssen integrativ wirken und Räume schaffen, dass Menschen Demokratie als problemlösend und partizipativ erleben. Dafür müssen diese Parteien zum Beispiel auch aufhören, die Narrativen der AfD zu stärken. Wenn SPD und Grüne mit ihrer GEAS-Reform Kinder in Lager an den EU-Außengrenzen stecken, die CDU und FDP mit der AfD Gesetze durchzudrücken versuchen, dann schürt das nur diffuse Vorurteile, dass die Migration die „Mutter aller Problem“ dieser Tage sei, wie es Horst Seehofer einst ausdrückte. Das ist sie aber nicht und am Ende werden die Menschen immer das Original wählen. Als hätten Rentner und Niedriglöhner oder auch Bürgergeldempfänger, all diejenigen, die völlig nachvollziehbar Ängste vor sozialem Abstieg haben, auch nur einen Cent mehr in der Tasche, als wäre die öffentliche Daseinsvorsorge bedarfsdeckender, wenn weniger Migranten nach Deutschland kämen. Das sind bewusste politische Entscheidungen, die Armut und Unterversorgung verstärken. Wir als Linke stehen zu unserem Programm und zu unserem Wort. Wir machen den Wählerinnen und Wählern ein ehrliches Angebot, bei dem man weiß, was man bekommt.“
DS: Vielen Dank für das offene, informative Gespräch.
Das Interview führte PETER PIONKE
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