7. April 2025

Elektromagnetische Felder erzeugen berührungsfreie Musik

Am 10. April 1925 fand das erste öffentliche Theremin-Konzert in der Petersburger Philharmonie statt. Über die Hintergründe hat sich Autor Uwe Blass hat sich in der  beliebten Uni-Reihe "Jahr100Wissen" mit Christoph Spengler, Chor- und Orchesterleiter der Bergischen Universität, unterhalten.

Barbara Buchholz (1959–2012) spielt auf einem TVox von G. Pavlov – © CC BY-SA 3.0 de

Was ist ein Theremin überhaupt?

Christoph Spengler: „Das Theremin – ursprünglich hieß es Aetherophon – ist eines der ersten elektronischen Musikinstrumente überhaupt. Es besteht im Grunde aus einem Kasten mit zwei Metallantennen, einer senkrechten und einer waagerechten. Die Besonderheit ist nun, dass das Instrument berührungsfrei gespielt wird. Man bewegt die Hände in der Luft, und was wie Zauberei aussieht, ist simple Physik. Das Theremin arbeitet mit elektromagnetischen Feldern, die von den Antennen ausgehen. Die Position der Hände verändert diese Felder – und das wiederum verändert den erzeugten Ton. Der Klang wird gern als „geisterhaft, wie eine fragile Frauenstimme“ beschrieben, was sicher auch ein Grund dafür ist, dass es unter anderem bei der Vertonung von Science-Fiction-Filmen zum Einsatz kam. Das Instrument ist der Vorläufer der heutigen Synthesizer.“

Wer hat es denn erfunden und wie spielt man es?

Christoph Spengler: „Der Erfinder ist der russische Physiker Lew Sergejewitsch Termen. Er entwickelte das Instrument 1920 und ging mit seiner „Geistermusik“ im Jahr 1927 auf Welttournee. In diesem Rahmen ließ er sich in den USA nieder, wo er seinen Namen in Leon Theremin änderte – daher auch der heutige Name des Instrumentes. 1938 kehrte er unter scheinbar ungeklärten Umständen in die UDSSR zurück, wo er verhaftet wurde und für die Weltöffentlichkeit bis 1964 quasi verschwunden war. In dieser Zeit ließ auch das Interesse an dem Instrument nach, ehe es „wiederentdeckt“ wurde und sich bis heute großer Popularität erfreut.

Christoph Spengler – Leiter Chor und Orchester der Bergischen Universität – © Sergej Lepke

Termen war eigentlich auf der Suche nach einem Verfahren zur Messung von Gasdichten, als ihm auffiel, dass sich durch Körperbewegungen in einem elektromagnetischen Feld Töne erzeugen lassen. Dies geschieht beim Theremin konkret durch die beiden Hände. Die eine Hand kontrolliert die Tonhöhe, die andere die Lautstärke. Der Wechsel von einem Ton zum anderen geschieht dabei immer gleitend – man spricht von einem glissando, was ein Grund für den charakteristischen Klang ist.

Es ist zwar im Grunde leicht, dem Instrument Töne zu entlocken, sie aber kontrolliert und gezielt zu formen, erfordern ein hohes Maß an Übung und Konzentration sowie nicht zuletzt eine große Körperbeherrschung, da jede Bewegung, auch die der Arme, sofort zu einer Veränderung des Klangs führt.“

Man sprach anfangs in Bezug auf das Instrument immer von einer Geistermusik. Wie kam man darauf?

Christoph Spengler: „Ich denke, dafür gibt es vor allem zwei Gründe, nämlich den Klang und die Spielweise dieses Instrumentes. Bei einem Klavier oder einer Gitarre sind die Töne klar voneinander abgegrenzt. Beim Theremin dagegen gleiten die Töne kontinuierlich ineinander über. Einen ähnlichen Effekt kann man zum Beispiel auf einer Geige erzielen, wenn man beim Streichen den Finger über die Saite gleiten lässt.

© Bergische Universität

Der elektronisch erzeugte Klang des Theremins, der ja nicht von einer Saite oder einer schwingenden Luftsäule wie bei einem Blasinstrument kommt, hat zudem etwas sphärisches, fast Unheimliches und war für die Ohren der damaligen Menschen völlig neu. Hinzu kommt die Spielweise, denn das Instrument wird beim Spielen nicht einmal berührt. Das wirkte auf die Menschen der 20er Jahre fast wie Magie, denn es entstand der Eindruck, der Klang komme aus dem Nichts. Das passte auch gut zu dem damaligen Zeitgeist, in dem viele vom Spiritismus und dem Okkulten fasziniert waren.“

Es wurden sogar speziell für dieses Instrument Werke komponiert. Aber vor allem in Science-Fiction-Filmen kam das Theremin zum Einsatz. Hitchcock nutzte es 1945 für seinen Film „Spellbound“ (deutscher Titel: Ich kämpfe um dich). In den Traumszenen des Psychodramas zersetzt der trancehafte, schlingernde Klang die Koordinaten der Wirklichkeit, schickt die Ohren auf mäandernde Höllenfahrt, gräbt immer tiefer hinab in verschüttete Gedächtnisgründe. Sind das die Stärken der Theremins?

Christoph Spengler: „Ja! Das sind die besonderen Stärken des Instruments. Der Klang des Theremins bewegt sich außerhalb dessen, was wir in unserer natürlichen Umgebung als vertraut empfinden. Er ist schwebend, flirrend, irgendwie jenseitig. Das eignet sich natürlich hervorragend, um Szenen damit zu unterlegen, in denen es um das Unheimlich, Traumhafte oder Psychologisch-Abgründige geht.

In Hitchcocks „Spellbound“ wurde das Theremin gezielt eingesetzt, um die seelischen Zustände der Hauptfigur hörbar zu machen – also nicht nur als musikalisches Stilmittel, sondern fast als innerer Monolog in Klangform. Auch in Science-Fiction-Filmen der 1950er-Jahre bediente man sich gern des Instruments, so etwa der mehrfache Oscar-Preisträger Bernard Herrmann in dem Film „The Day The Earth Stood Still“ („Der Tag, an dem die Erde stillstand“). Er erkannte, dass sich der Klang hervorragend eignete, um das Fremde, Außerirdische klanglich auszudrücken – ein echter Klassiker.

Das Innenleben eines modernen Theremins – © CC BY-SA 3.0 de

Gleichzeitig hat das Theremin aber auch eine lyrische, empfindsame Seite. In frühen Konzertwerken, etwa von Bohuslav Martinů oder Carolina Eyck, wird es ganz klassisch-melodisch eingesetzt und klingt dort fast wie eine singende Stimme. Das Spektrum reicht also von der kosmischen Klangreise bis zur romantischen Solostimme.“

Nach den 50er Jahren war der Hype um das Theremin vorbei und es wurde erst in den 90er Jahren von der Elektroszene wiederentdeckt. Trat es dann nicht in die direkte Konkurrenz mit den Synthesizern?

Christoph Spengler: „Auf den ersten Blick scheint das Theremin tatsächlich in Konkurrenz zum Synthesizer zu stehen – immerhin können beide elektronische Klänge erzeugen, die anders sind als die, die klassische Instrumente erzeugen können. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Synthesizer arbeiten meist über Tasten, Regler oder Computersteuerung. Das Theremin dagegen bleibt ein körperlich gespieltes Instrument – mit all seinen Eigenheiten, Nuancen und Unwägbarkeiten. Und auch nach so vielen Jahren, die es das Instrument schon gibt, bleibt es faszinierend, jemandem zuzusehen, der es spielt und dabei die Hände nur in der Luft bewegt, um die Töne zu erzeugen. Auch wenn wir wissen, dass das alles physikalisch zu erklären ist, bleibt dem doch ein magisch wirkender Zauber inne.

Und das Spielen des Theremins hat eben immer etwas Situatives: Es reagiert so empfindlich auf jede Bewegung seines Spielers, dass es nie genau gleich klingt. Damit hebt es sich ab von der digitalen Gleichförmigkeit moderner Sampler und Synthesizer. Es hat einfach einen viel stärkeren „human touch“, bietet stärkere individuelle Ausdrucksmöglichkeiten und wirkt dadurch weniger „kühl“ als mancher Synthesizer. Somit sehe ich das Theremin eher als eine schöne Ergänzung der Synthesizer-Welt, ein Instrument, das in der musikalischen Landschaft einen ganz eigenen Platz eingenommen hat, wenn es auch bis heute eher als Nischeninstrument empfunden wird, aber dennoch eine treue Fangemeinde hat.“

Alexandra Stepanoff spielt ein Theremin für NBC Radio im Jahr 1930 – © Gemeinfrei

Sein Erbauer, Lew Sergejewitsch Termen, später Leon Theremin, verschwand einige Jahre spurlos. Was war passiert und was weiß man heute noch von ihm?

Christoph Spengler: „Lew Termens Leben war mindestens so ungewöhnlich wie das Instrument, das er erfand. Nachdem er in den 1920er- und 30er-Jahren mit dem Theremin weltweit Aufsehen erregt hatte, verschwand er 1938 plötzlich aus der Öffentlichkeit. Lange ging das Gerücht, er sei von sowjetischen Agenten aus den USA entführt worden – tatsächlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits freiwillig nach Moskau zurückgekehrt, wo er kurz darauf unter dem Vorwurf des „konterrevolutionären Verhaltens“ verhaftet wurde. Im Westen galt er als verschollen, und man vermutete, er sei verstorben.

Er verbrachte mehrere Jahre in einem sibirischen Gulag, wurde später jedoch in eine sogenannte „Sharashka“ versetzt – ein geheimes Forschungslabor für Häftlinge, in dem er unter anderem für den sowjetischen Geheimdienst Überwachungstechnologie entwickelte. Darunter soll auch ein früher Vorläufer des Richtmikrofons gewesen sein.

Erst in den 1960er-Jahren tauchte Termen wieder öffentlich auf. In der Sowjetunion galt er nun als verdienter Wissenschaftler, der sogar mit mehreren Preisen dekoriert wurde. Von seiner musikalischen Pionierrolle war da allerdings kaum noch die Rede. In den 1990ern reiste er im hohen Alter noch einmal nach New York, wo man ihn mit großem Respekt empfing. Er starb 1993 in Moskau – als jemand, der in zwei Welten gelebt hatte: der Musik und der Technik, dem Westen und dem Osten, der Freiheit und der Überwachung.“

Das Theremin kommt auch heute bei vielen Musikerinnen und Musikern zum Einsatz. Sie schätzen vor allem den größeren Tonraum, also mehr als die zwölf Töne, mit denen man normalerweise im westlichen Kulturkontext Musik macht. Könnten Sie sich vorstellen, das Theremin auch einmal bei einem Konzert mit Chor und Orchester einzusetzen?

Christoph Spengler: Man soll niemals „nie“ sagen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir vielleicht einmal eine Filmmusik spielen, in der das Theremin als Instrument vorkommt. Wir haben ja bereits mit ungewöhnlichen Instrumenten gearbeitet – zuletzt im Januar 2025, als wir ein Stück mit Dodgeridoo und Orchester gespielt haben. Wenn mir also einmal Noten eines für uns geeigneten Stückes in die Hände gelangen, die ein Theremin vorsehen und ich jemanden finde, der es auch spielen kann – warum nicht?

Uwe Blass

Christoph Spengler – © Sergej Lepke

Über Christoph Spengler

Christoph Spengler studierte Kirchenmusik in Düsseldorf. 2007 übernahm er die Leitung des Unichores, 2011 die Leitung des Orchesters. 2016 verlieh ihm das Rektorat die Ehrenmedaille der Bergischen Universität. 2017 wurde er zum Kirchenmusikdirektor durch die Evangelische Kirche im Rheinland ernannt.

 

 

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