27. April 2025

‚Fräulein Julie‘: Strindbergs radikales und umstrittenes Werk

„Fräulein Julie“ ist das radikalste und zugleich umstrittenste Stück des schwedischen Autors August Strindberg. Geschrieben hat er sein meist gespieltes Theaterstück 1888. Es geht geht um Klassenunterschiede zwischen Arm und Reich, Liebe und Macht, Selbstbehauptung und Unterwerfung, sozialer Status, Rollenerwartungen und deren Überschreitung.

Nora Koenig und Thomas Braus in der Badewanne: Szene aus dem Stück „Fräulein Julie“ von August Strindberg – © Anna Schwartz / Wuppertaler Bühnen

Die Inszenierung von Stefan Maurer hatte am Samstag (26.04.) Premiere im Theater am Engelsgarten. Stefan Maurer nennt Strindberg einen Autor voller Widersprüche, der immer wieder extreme Dinge herausgehauen habe, Dinge, die sich naturgemäß auch in dem aktuellen Theaterstück widerspiegeln. In Strindbergs autobiografischen Roman sind es Phasen der Gläubigkeit, dann der Ungläubigkeit, die des Frauen-Hassers, dann wieder die Liebeserklärung an Frauen. Die Rede ist von Eifersuchts- und Verfolgungswahn. Strindberg war in den 1880er-Jahren Anhänger des Sozialismus, später aber eher ein Anhänger der rechten Politik.

Wenn schöpferische Leistung und Wahnsinn zusammentreffen

In seiner ethnographischen Analyse wollte Strindbergs Zeitgenosse, der deutsch-schweizerische Psychiater und Philosoph Karl Jaspers, bei ihm nicht von ungefähr schizophrene Züge erkannt haben. Autor Jasper: „Nirgends tritt dieses „Moment der Unverstehbarkeit“ deutlicher zutage als in Fällen, wo in einem Menschen schöpferische Leistung und Wahnsinn zusammentreffen“.

Zum Inhalt von „Fräulein Julie“: Es handelt von der jungen wohlhabenden Tochter des Gutsbesitzers Julie, ihrem Diener Jean (Thomas Braus) und ihrem Verhältnis zueinander. Julie (Nora Koenig) versucht, ihrem durch gesellschaftliche Normen geprägten Dasein zu entfliehen und etwas Spaß zu haben. Auf dem jährlichen Mittsommerfest tanzt sie mit der Dienerschaft und setzt sich damit über gültige Standesregeln hinweg. Sie fühlt sich zu dem älteren Diener Jean hingezogen, der in der Welt herumgekommen ist und sowohl gut erzogen als auch gebildet ist.

Szene aus dem Stück „Fräulein Julie“ von August Strindberg: Silvia Munzón López (l.) und Nora Koenig. Im Hintergrund Thomas Braus – © Anna Schwartz / Wuppertaler Bühnen

Während der Nacht entwickelt sich aus dem Flirt zwischen Julie und Jean eine vollendete Liebesbeziehung und im Licht des neuen Morgens sind die Rollen vertauscht: Jean ist Herr der Lage, Julie die Gefallene und Gedemütigte. Danach unterhalten sich beide in der Küche des Herrensitzes von Julies Vater. Jeans Verlobte, die Köchin Kristin (Silvia Munzón López), hält sich teilweise auch dort auf. Das brisante Geschehen um Liebe und Macht nimmt ihren Lauf.

Brisante Geschehen um Liebe und Macht

Während Julies standesgemäßer Platz sie zunächst über Jean erhebt, übt Jean durch seine Bildung und seine Männlichkeit Macht über sie aus und wird im Laufe der Zeit zum stärkeren Part in der Zweier-Beziehung. Jean ist Julie moralisch überlegen, denn Jean ist ein Mann und Julie eine „verkommene“ Frau. Diese Unterschiede prägen den Großteil der Handlung des Stücks, in dem  Jean dominiert. Sein Urteil: „Das Fräulein, um von ihr zu reden, gibt nicht acht auf sich und ihre Person. Ich möcht’ sagen, sie hat keine Finesse“.

Den geliebten Vogel eiskalt getötet

Jean gibt dem Drängen Julies, mit ihr zu kommen, aber schließlich nach. Zwar mag er heute noch Diener sein, doch schon bald könne er es zum reichen Hotelbesitzer bringen und sich sogar den Grafentitel kaufen. Ihrem Wunsch aber, ihren kleinen Vogel im Käfig mitzunehmen, widersetzt er sich. Julie besteht darauf: Bevor sie den Vogel dalässt, soll Jean ihn lieber töten. Doch nachdem Jean das Tier eiskalt tötete, ist Julie außer sich. Soll er sie doch gleich auch noch töten! Sie möchte Jean hingerichtet sehen, und mit ihm am besten gleich alle Männer.

Beeindruckende Schauspiel-Leistungen: Nora Koenig und Thomas Braus – © Anna Schwartz / Wuppertaler Bühnen

Als Kristin (Jeans Verlobte) dazu kommt, bitte Julie sie, ihr zu helfen. Sie könnten zu dritt in die Schweiz gehen. Doch Kristin hat nur Verachtung für sie übrig und ist stolz darauf, niemals unter ihrem Stand geliebt zu haben. Auch Julie erinnert sich nun wieder an ihre Herkunft. Hat Jean gedacht, sie, die Tochter eines Graf Toter Vogel würde einen Knecht heiraten und ihm Kinder gebären?

Regisseur Stefan Maurer verzichtete in seiner Wuppertaler Aufführung auf das grausige Ende der Originalfassung, in der sich die gedemütigte Julie auf Jeans Befehl umbringt. Stattdessen lässt er seine Akteure in einer Badewanne den Satz mehrfach sprechen: „..geht doch, geht doch…“

Seit den 1990er Jahren ist Strindberg wieder da

Die Frage, warum man im 21. Jahrhundert noch sein „Fräulein Julie“ inszeniert, beantwortete Stefan Maurer im „Engels Newsletter“: „Seit den 1990er Jahren ist Strindberg wieder da und wird wieder überall gespielt. Das liegt daran, dass Strindberg  vielleicht auf der Suche nach der Mitte keine Antworten hat. Das Spiel um Liebe und Macht findet heute eher im pseudorealen Fernsehen statt“.

Dramatische Szene in „Fräulein Julie“: Nora Koenig und Thomas Braus – © Anna Schwartz / Wuppertaler Bühnen

Die Geschlechterrollen scheinen sich nicht komplett verändert zu haben. Auf die Frage, warum haben die Menschen Spaß an solchen Geschichten antwortete Maurer: „Jede Generation, wenn sie groß wird, muss sich aufs Neue damit auseinandersetzen. Man muss selber mit der Identität klarkommen. Ob man sie abgrenzt oder ob man damit spielerisch umgeht, das muss jeder für sich selbst aufs Neue finden.

Hysterischen Charaktere im Blickpunkt

August Strindberg war ein Skandalautor, der die menschliche Psyche meisterhaft erforschte und die Ausdrucksformen seiner Zeit überschritt. Seine frühe Arbeit war stark vom Naturalismus mit dem Ziel geprägt, seine Umgebung glaubwürdig und „ungeschönt“ darzustellen. Ein besonderes Anliegen war es ihm, die Konfrontation mit damaligen Gegenwartsproblemen, hauptsächlich Figuren der unteren Gesellschaftsschichten, auf die Bühne zu bringen.

Nicht auf die Handlung, sondern auf die zerrissenen, widersprüchlichen, teils hysterischen Charaktere sollte sich der Blick des Zuschauers richten. Das ist ihm auch dank der herausragenden schauspielerischen Leistungen von Koenig, Braus und Munzón López eindrucksvoll gelungen, wie der Beifall im Theater am Engelsgarten am Premierenabend zeigte.

Text: Siegfried Jähne 

 

FRÄULEIN JULIE

von August Strindberg

Eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg.

Mit: Nora Koenig – Thomas Braus – Silvia Munzón López

Regie: Stefan Maurer

Bühne & Kostüme: Luis Graninger

Dramaturgie: Florian Hirsch

Regieassistenz: Johanna Landsberg, Laura Hutta

Ausstattungsassistenz: Anna Jurczak

Inspizienz: Ilja Betser

Theater am Engelsgarten – Engelstr. 18 – 42283 Wuppertal

Weitere Termin: 27.04. – 09.05 – 11.05. – 30.05. – 14.06.

Alle Fotos © Anna Schwartz / Schauspiel Wuppertal

Link zur Webseite der Wuppertaler Bühnen: http://www.wuppertaler-buehnen.de

 

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